Bastian Schweinsteiger: Kämpfer, Anführer, Legende
Bastian Schweinsteiger steht für die Generation 100-plus. Der 29-Jährige wollte diesen Titel unbedingt. Jetzt hat er ihn.
Rio de Janeiro. Mit einer Deutschlandfahne als Wickelrock stand er in den Katakomben des legendären Maracanã. Er trug das deutsche Trikot mit den Unterschriften der deutschen Ex-Weltmeister. Die Wunde unter seinem rechten Auge war sichtbare Erinnerung an den hingebungsvollsten Kampf seiner Karriere. An dessen Ende sein größter Triumph stand.
„Hier wollte ich mit aller Gewalt so weit wie möglich kommen“, sagte Schweinsteiger. Er hätte das gar nicht sagen müssen, sein Spiel, sein Einsatz berührte die Grenzen des Möglichen, das war in den 120 Minuten Endspiel schlicht offensichtlich. „Ich war froh, dass der Bundestrainer am Anfang meine Gesundheit ein bisschen geschont hat“, erinnerte der 29-Jährige, als der WM-Sieg perfekt war, an seinen anfangs schweren WM-Sommer.
Sehr genau muss Schweinsteiger Bundestrainer Joachim Löw vor dem Finale zugehört haben. „Wir haben vor dem Spiel gesagt: Ihr müsst heute so viel geben wie noch nie in eurer Karriere. Dann werdet ihr das erreichen, was ihr noch nie hattet, nämlich diesen Pokal mit nach Hause zu nehmen“, berichtete Löw nach dem 1:0-Triumph gegen Argentinien.
Besonders richtete Löw seinen Appell wohl an die Generation 100-plus um Bayern-Profi Schweinsteiger, der zu der Handvoll Spieler gehört, die schon vor oder seit Löws DFB-Start zur Nationalmannschaft gehören. „Wenn es überhaupt irgendjemand verdient hat, dann diese Mannschaft mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Per Mertesacker, Lukas Podolski und Miroslav Klose“, zählte Löw auf — und nannte wohl nicht ohne Zufall genau jene Akteure, die unter ihm die Schallmauer von 100 Länderspielen durchbrochen haben.
„Sie waren zu meiner Zeit die ganzen zehn Jahre dabei. Wir waren das eine oder andere Mal enttäuscht, aber heute gab es nur einen verdienten Sieger, diese Mannschaft“, sagte Löw. „Wir wussten genau, dass Champions irgendwann diesen letzten Schritt machen, die Sache zu Ende bringen. Wir haben immer daran geglaubt.“
Schweinsteigers 108. Länderspiel war legendär. Ein Lauf- und Zweikampfpensum der Extraklasse lieferte der gerade noch 29-Jährige. Dabei war ihm, der sich schon halbfit durch die EM 2012 in Polen und der Ukraine geschleppt hatte und dafür verbale Prügel einstecken musste, eine solche Leistung ob weiterer körperlicher Probleme gar nicht mehr zugetraut worden. Die Patellasehne war massiv gereizt. Wieder einmal schien der Körper zu signalisieren, dass es für eine hohe Belastung wie ein WM-Turnier nicht mehr reicht.
Doch der Mittelfeldchef kämpfte sich in das Turnier, spielte in sechs Spielen immerhin 504 Minuten, überzeugte besonders gegen die USA, quälte sich gegen Algerien unter Krämpfen bis in der Verlängerung und wurde mit seinem Einsatz und seiner Leidensfähigkeit gegen Argentinien zum Sinnbild des unbedingten Siegeswillens seiner Generation —im sechsten Anlauf bei einem großen Turnier.
„Alle Spieler in dieser Mannschaft haben alles gegeben, angeführt natürlich von einem überragenden Bastian Schweinsteiger und einem überragenden Philipp Lahm, die ein unglaubliches Laufpensum geleistet haben“, sagte Löw.
Schweinsteiger wurde von Javier Mascherano mit Tritten zugesetzt, Sergio Agüero traf ihn bei einem Luftduell mit der Hand im Gesicht. Nur wenige glaubten, der Mittelfeldrenner würde bis zum Schlusspfiff durchhalten. Blut lief ihm übers Gesicht, doch als Kevin Großkreutz schon zur Einwechslung bereit stand, kehrte Schweinsteiger unter dem Jubel der Fans zurück.
Lohn war der WM-Pokal und auch ein Trophäen-Bild mit Lukas Podolski, mit dem er 2004 noch unter Rudi Völler bei der verkorksten EM in Portugal als Hoffnungs-Duo „Poldi & Schweini“ debütierte. Es folgten dritte Plätze bei WM 2006, 2010 und EM 2012 und ein Vize-EM-Titel nach verlorenem Finale gegen Spanien 2008.
Die DFB-Karriere ist für Schweinsteiger noch nicht vorbei. Eine weitere WM wäre noch möglich, deutete er an. Aus dem 100-Plus-Quintett ist nur für Klose ein Auftritt 2018 in Russland wohl grundsätzlich ausgeschlossen — auch wenn Löw aus der Feierlaune heraus meinte, dass „dem Miro alles zuzutrauen“ sei.
Doch die WM hat Spuren hinterlassen. Bei den Feierlichkeiten in einem Nobelhotel am Partystrand von Ipanema wollte sich Schweinsteiger zurückhalten. „Ich bin auch leer. Es wird eine lange Nacht, ich lasse Leuten wie Kevin (Großkreutz) den Vorrang. Die können das noch besser. Ich versuche mehr, den Moment zu genießen.“