Dschungel-König Shaqiri schreibt WM-Geschichte
Manaus (dpa) - Dschungel-König Xherdan Shaqiri hatte nach seiner Drei-Tore-Gala in Manaus nur Augen für den Ball. Der 22-Jährige vom FC Bayern schnappte sich kurz nach dem Schlusspfiff gegen Honduras die Kugel und gab sie nach dem Erreichen des WM-Achtelfinales auch erstmal nicht wieder her.
„Ich wollte den Ball unbedingt mitnehmen. Es ist schön, dass ich ihn jetzt behalten kann“, meinte er nach seinem Dreierpack zum 3:0 (2:0) mit strahlendem Gesicht. „Jetzt ist alles möglich. Wir als kleine Schweiz haben etwas Großes erreicht. Alle können stolz auf die Mannschaft sein.“
Besonders stolz auf das zuletzt stark kritisierte Kraftpaket war Trainer Ottmar Hitzfeld, der vor dem Antritt seiner Rente die Eidgenossen noch auf das Kräftemessen mit dem zweimaligen Weltmeister Argentinien am Dienstag in São Paulo einstellen darf. „Für mich war es wichtig zu sehen, dass die Mannschaft auf Shaqiri bauen kann“, urteilte der 65 Jahre alte ehemalige Bayern-Coach, der den Dampfmacher diesmal in die Zentrale beorderte. „Das war die Bestätigung dessen, was ich für möglich gehalten habe. Er muss im Zentrum mehr laufen, aber wenn man dort drei Tore macht, muss man ihm ein Superkompliment machen.“
In der Heimat war Shaqiri vor der Partie für seine bisher blassen WM-Auftritte noch heftig gerügt worden. Er sei zu eigensinnig und zu wenig präsent, so die Vorwürfe. Nach der Dschungel-Party in Manaus überschlug sich die Schweizer Presse fast. Das Boulevard-Blatt „Blick“ dichtete euphorisch: „Wir haben unseren eigenen Messi! Xherdan Shaqiri ist unser Mann für die Sternstunden. Für die außergewöhnlichen Momente.“ Shaqiri, der „Zauberzwerg“ und „Zauberwürfel“. Der „Tagesanzeiger“ wertete die Vorstellung als „die Antwort des Künstlers“, und die „Berner Zeitung“ titelte: „Shaqiri brilliert in der Lieblingsrolle“ - nämlich als Spielgestalter auf der zehn, wo er mehr Ballkontakte hat und näher zum Tor steht.
60 Jahre nach Josef Hügi traf in Shaqiri erstmals wieder ein Schweizer dreimal bei einer WM. Es war der 50. Dreierpack in der Geschichte der Endrunde. Da hatte sich Shaqiri eine kleine Belohnung redlich verdient. „Ein Glas Rotwein werde ich sicher trinken“, kündigte „Shaq-Attack“ vor dem Rückflug aus Manaus an. Bei einer Luftfeuchtigkeit von 79 Prozent war er omnipräsent, bewies eine hervorragende Abstimmung mit Josip Drmic und demonstrierte schließlich dreimal (6. Minute/31./71. Minute) seine Coolness.
„Er ist ein Superspieler, er hilft uns immer“, lobte der Wolfsburger Ricardo Rodríguez. Auch der Hamburger Johan Djourou sah in der taktischen Umstellung den Schlüssel zum Erfolg: „Shaq ist ein großartiger Spieler. Auf der Zehn ist er in der besten Position.“ Der 29 Jahre alte Routinier Valon Behrami empfahl dem jungen Kollegen, den wertvollen Augenblick einfach aufzusaugen: „Zuletzt wurde er viel kritisiert, aber als junger Kerl sollte er den Moment genießen. Er hat gezeigt, dass er ein großer Spieler ist.“
Ein großer Coach ist Hitzfeld. Nach acht Jahren führte er die Eidgenossen wieder in ein WM-Achtelfinale. „Die Schweiz kann stolz darauf sein, so einen Trainer gehabt zu haben. Seine Mission geht weiter“, erklärte Admir Mehmedi vom SC Freiburg.
Hitzfeld will seine letzten Tage als Fußball-Coach auf sich wirken lassen. „Argentinien als nächster Gegner ist noch weit weg, jetzt will ich erst den Moment genießen. Ich bin glücklich, dass der Stress weitergeht“, sagte er. „Jedes Achtelfinale ist eine Riesenmotivation, man kann Geschichte schreiben, aber Shaqiri hat schon Geschichte geschrieben. Wenn man aus diesem Spiel die richtigen Schlüsse zieht, haben wir auch gegen Argentinien eine Chance.“
Die Schweizer müssen gegen die Truppe um Superstar Messi hellwach sein. Honduras erwies sich als teilweise erschreckend harmlos, hätte die brüchige Deckung der Eidgenossen aber mehrere Male überwinden können. Hitzfeld erkannte jedoch einen psychologischen Vorteil. „Wir hatten den totalen Willen und haben den inneren Schweinehund überwunden. Wenn man das Achtelfinale erreichen will, muss man Opfer bringen, jeder ging an die Grenzen“, erläuterte er.
Argentinien wird den Schweizern mehr abverlangen als Honduras, das sich nach dem Rücktritt von Luis Fernando Suárez einen neuen Trainer suchen muss. Nicht zuletzt wegen ihres Topspielers. „Alleine kannst du Messi nicht stoppen, nur als Team“, sagte Djourou. „Argentinien ist der Favorit, wir wollen es ihnen aber so schwer wie möglich machen“, meinte der flatterhafte Diego Benaglio vom VfL Wolfsburg. Vielleicht erwischt dann auch Shaqiri wieder einen Spitzentag.