Löws Weg geht weiter

Joachim Löw bleibt Bundestrainer. Das war zuerst kaum zu erwarten, dann aber klar: Er hat Fürsprecher in der Branche ohne Ende — und der DFB keine Alternative. Jetzt muss Löw seine eigene Alternative werden.

Foto: dpa

Düsseldorf. Vielleicht müsste Jürgen Klinsmann mal zum Nachschärfen vorbeikommen. Man nennt das so in der Unternehmensberatung: Erst wird beim „Patienten“ alles auf den Kopf gestellt, und dann werden einige Projekte identifiziert. Es werden Regeln aufgestellt, und die Einhaltung der Regeln wird ziemlich streng überprüft. Und wenn das alles nicht so funktioniert, wie man sich das so ausgedacht hat, dann wird: nachgeschärft.

Eigentlich ist genau das die Situation, in der die Nationalmannschaft gerade steckt: Es müsste mal jemand zum Nachschärfen kommen. Da scheint ja allerhand verloren gegangen zu sein, seit Jürgen Klinsmann mit Oliver Bierhoff und seinem damaligen Assistenten Joachim Löw alles auf den Kopf gestellt hat. 2004 war das, nach der EM in Portugal und einem peinlichen Vorrunden-Aus (Ha!) mit Rudi Völler, der freiwillig ging, weil Nachschärfen jetzt auch nichts mehr genutzt hätte. Und nachdem 2006 und der WM im eigenen Land Klinsmann einfach so gegangen ist, ist Löw geblieben und hat versucht, hier und dort eigene Akzente zu setzen, aber dann eben doch grundsätzlich die von Klinsmann vorgegebene Bahn nicht mehr zu verlassen.

Das endete oft gut, weil Deutschland ohnehin seit spätestens 2010 einen Haufen von wirklich guten Fußballern hervorgebracht hat, was nun gerade etwas in Gefahr zu geraten scheint. Aber manchmal ist es auch danebengegangen, und dann wurde eben auch mal nachgefragt, weil das beste Konzept und die besten Fußballer doch eigentlich das beste Ergebnis bedingen müssten. Bundestrainer zu sein, ist auch mal mühselig.

2012 zum Beispiel, als der DFB Europameister werden wollte, und im Halbfinale ziemlich dödelig vom italienischen Muskelprotz Balotelli abgekocht wurde. Diese Niederlage werde sein Team nicht umwerfen, hatte Löw tags darauf ein bisschen patzig gesagt, er hat „die Verantwortung übernommen“ — und einfach weitergemacht. Löws Selbstbewusstseinskurve war seinerzeit schon steil nach oben gegangen. Nach der WM 2010 in Südafrika hatte man Löw nach der Halbfinal-Pleite gegen Spanien noch ausgebrannt erlebt. Er brauchte Wochen, um seine Zukunft zu erklären. Aber mit jedem Turnier, das keinen Titel hervorbringt, muss man eben auch fixer werden mit seinen Zusagen auf Fortsetzung. Es könnte ja immer jemand dazwischen argumentieren. Manchem fällt da sicher etwas ein, warum ein anderer das alles viel besser machen könnte als Löw, von dem es bei den heute Zwölfjährigen heißt, ihm gehöre diese Nationalmannschaft wie Angela Merkel das Kanzleramt gehört. Aber ist das nicht auch so?

Am Dienstag, eine Woche nach dem deprimierenden 0:2 gegen Südkorea, und genau an dem Tag, als Löw als Gruppenerster gegen die Schweiz ein WM-Achtelfinale gewinnen wollte, was dann Schweden gewann, entschied sich Löw weit weg von Russland in Frankfurt, seinen Vertrag bis 2022 erfüllen zu wollen. Jenen Vertrag, den ihm Präsident und CDU-Mann Reinhard Grindel exakt einen Tag nach dem Erdogan-Desaster von Mesut Özil und Ilkay Gündogan vor den Tintenfüller gelegt hat. Grindel hätte das nicht tun müssen, aber der DFB ist von seinem bestbezahlten Trainer überzeugt. Und der er hätte sich eben auch nicht vorstellen können, dass das nichts wird in Russland, was ja Teil des Problems geworden ist, weil über alle Sorglosigkeit, so hört man nun wohl auch aus nicht genannten Spielerkreisen über die „Frankfurter Allgemeine“, vieles in Unordnung geraten sein soll: Die Spieler in Lager geteilt, Etablierte gegen Aufstrebende, verärgert über Manuel Neuers Sonderbehandlung, aufgepumpter Trainerstab, ohne Konzentration auf Willensschulung — und so weiter.

Eigentlich blieb gar nichts mehr Gutes übrig, aber genau das ist eben Löws Chance, die er jetzt hat: Neubeginn. Einkehr und Umkehr, seine eigene Alternative werden. Nachschärfen aus sich selbst heraus, Stärken wieder freilegen, Spielstil und persönliche Bindungen prüfen und gegebenenfalls kappen, Bequemlichkeit und entstandene Attitüden ablegen. Und das Beste und Hoffnungsvollste daran in dieser dunklen deutschen Fußballzeit ist: Löw ist genau das zuzutrauen. Kaum einer hat bewiesen wie er, dass man sich im Grunde zwar treu bleiben, aber im Detail gnadenlos neu erfinden kann.

Wahrscheinlich ist es sogar Löws größte Stärke, aus großen Enttäuschungen, an denen er natürlich und in Russland mit besonderer Vehemenz mitgewirkt hat, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Und wenn man dann auf der anderen Seite so viel Geduld hat, dass man die negativen Ausreißer in Kauf nimmt, um am Ende vielleicht nur noch höher zu fliegen, fährt man mit Löw wohl auch weiter richtig. Nach der erwähnten Enttäuschung von 2012 ist Löw 2014 Weltmeister geworden. Das muss erstmal als Versprechen reichen. Im Übrigen ist niemand da, der als Gesamtpaket eine ernsthafte Alternative darstellen könnte.

„Ich möchte mit ganzem Einsatz den Neuaufbau gestalten“, sagte der Bundestrainer am Dienstag in einer Pressemitteilung des DFB, die vor allem eines war: eine Verbeugung vor Löw, mit Erlaubnis zur späteren Analyse der Malaise, Tenor: Hauptsache, er bleibt. Was kein guter Beginn einer neuen Ära ist, aber das kann ja noch werden. Oliver Bierhoff sagte, dass beide, Löw und er, mal ans Aufhören gedacht hätten, aber er habe „schon am nächsten Tag bei ihm und bei mir die Energie gespürt, dass wir bereit sind, den neuen Weg zu gehen“. Kritischer als je zuvor wird er begleitet werden. Wenn das nicht Ärger, sondern Ehrgeiz hervorruft, ist die Chance groß, Klinsmann nicht mehr zu brauchen.