#HandballEM #NORGER Bundestrainer Sigurdsson - Der Mann, der das Spiel lesen kann
Bundestrainer Sigurdsson ist ein unglaublich vielseitiger Mensch. Der 42-Jährige spielt Gitarre und singt als Isländer die deutsche Nationalhymne mit. Er ist an mehreren Firmen beteiligt und pflegt stets den Blick über den Tellerrand. Auch vom Fußball beeinflusst hat er als Trainer einen ganz eigenen Stil entwickelt
Krakau (Maat). Jedes Mal das gleiche Prozedere. Dagur Sigurdsson betritt bei der Pressekonferenz rund fünf Minuten vor Beginn den Raum. Allein, ohne Begleiter, grüßt er kurz in die Journalistenschar und setzt sich auf das Podium. Ab und an gießt er sich einen Schluck Wasser ein, nippt am Glas, stellt es wieder ab und starrt schnurstracks geradeaus. Minutenlang, ohne sich zu regen, bis Pressesprecher Tim Oliver Kalle die Begrüßung spricht.
„Ehrlich gesagt, geht mir in diesem Moment gar nichts durch den Kopf. Ich konzentriere mich auf die Fragen, die ich gleich zu beantworten habe“, sagt der Isländer. Vor ein paar Wochen formulierte er mal eine Art Lebensphilosophie: „Du musst immer davon ausgehen, dass du allein gegen die ganze Welt bist. Helfen kannst du dir nur selber.“ Allein gegen die ganze Welt. Da passt das Bild von Sigurdsson oben auf dem Podium und den Medien etwas unterhalb von ihm sehr gut. Wer sich allein auf der Erde wähnt, der wird schnell selbstständig und aktiv. Er handelt: selbst und ständig. Das beschreibt Dagur Sigurdsson haargenau.
Schon mit 18 Jahren eröffnet er ein Café auf Island. Später wird er Mitinhaber einer Pizzeria und eines Hotels in Reykjavik. Mittlerweile hat er Beteiligungen an rund 20 Firmen gehabt. Ein Selfmademan.
Schon mit 24 Jahren bekleidet er in der Bundesliga das Amt des Kapitäns. Das unterstreicht seine Führungsqualitäten. Auch sportlich ist Sigurdsson breit aufgestellt. Seine Eltern gaben ihm gute Gene mit. Die Mama war isländische Meisterin im Handball, der Papa isländischer Nationalkeeper im Fußball. Sohn Dagur fährt zunächst zweigleisig. Schafft es im Fußball bis in die U-17-Auswahl seines Landes.
Am Ende zieht er aber den Handball vor, weil „ich dort schneller weiter gekommen bin“. Seine Spielanlagen hingegen ähneln sich. Als Kicker bekleidet er die Sechserposition, als Werfer gibt er den Spielmacher. „Ich mag es, das Spiel zu lesen“, sagt er. Noch heute lässt er sich vom Fußball inspirieren. „Ich habe einen Online-Crashkurs absolviert, bei dem auch die bekannten Trainer Alex Ferguson und David Moyes aufgetreten sind. Da konnte ich viel lernen über die Vorgehensweise von etablierten Trainern im Fußball. Die Leute dort sind ja ohnehin mehr Manager als Trainer, die Spalte dazwischen finde ich sehr interessant“, erzählt der Coach, der aufgrund seiner Erfolge mit der deutschen Nationalmannschaft inzwischen hohe Anerkennung erfährt. „Der Retter des deutschen Handballs“, „Handballflüsterer“, „Taktikfuchs“, „Möglichmacher“, „Vater des Erfolges“ oder „Multitalent“ — sind nur einige Referenzen. Aber vielleicht ist er auch einfach nur: Der Mann, der Handball kann.
Beeinflusst von den Großen der Zunft hat Dagur Sigurdsson, der sehr gut Gitarre spielt, einen eigenen Stil kreiert, der seinesgleichen sucht. Er ist innovativ, mutig, aggressiv. Im Gruppenendspiel gegen Dänemark coachte Sigurdsson seinen Trainerkollegen Gudmundur Gudmundsson kurzerhand an die Wand. Er stellte seinen Landsmann während der 60 Minuten vor derart viele Aufgaben, dass dem auf der dänischen Bank trotz der Ansammlung von internationalen Topkräften schlicht nichts mehr einfiel. Permanente Deckungswechsel, ständig getauschtes Personal, Rhythmusverschleppungen und -beschleunigungen oder Spezialaufgaben für bestimmte Spieler (wenn auch manchmal nur für einen Angriff) ließen die Dänen verzweifeln — und die Deutschen jubeln.
Während viele seiner Trainerkollegen eher mal fünf Minuten zu spät bei angesetzten Terminen auftauchen, möchte Sigurdsson „die Leute nicht warten lassen“. Das sei unhöflich. Deshalb wird der 42-Jährige auch heute wieder um 11.55 Uhr den Presseraum betreten und den Journalisten „einen schönen guten Tag“ wünschen.