Kolumne Von Toni Schumacher
Kolumne Von Toni Schumacher
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Nach dem Abpfiff gegen Südkorea habe ich sofort an die Fußball-Geschichtsbücher denken müssen. Das ist also die deutsche Mannschaft, die zum ersten Mal in einer WM-Vorrunde ausgeschieden ist und ein schwarzes Kapitel geschrieben hat. Eine riesige Enttäuschung, die erst einmal verarbeitet werden muss.
Dazu gehört, dass man Abstand gewinnt und das Geschehen analysiert — und zwar in Ruhe. Ich hoffe, dass es keine überstürzten Personalentscheidungen gibt, erst recht nicht bei Jogi Löw. Er hat als Nationaltrainer bisher einen Riesenjob gemacht. Und er sollte sich die Zeit nehmen (und sie auch bekommen), um die vergangenen Wochen sorgfältig aufzuarbeiten. Ob er weitermachen will und darf, kann man danach entscheiden. Dass einige Spieler jetzt aus der Nationalelf zurücktreten werden, ist für mich ohnehin klar und nach großen Turnieren nicht außergewöhnlich.
Wichtig bei der Analyse ist, dass man ehrlich mit sich selbst umgeht. Ich habe direkt nach dem WM-Finale 1986, in dem wir durch meinen Fehler 0:1 in Rückstand geraten waren, in die Kameras gesagt: „Ich habe gehalten wie ein Arsch!“ Und das meinte ich auch so. Man sollte als Spieler nie nach Ausreden oder nach Fehlern der Mitspieler suchen, sondern muss immer bei sich selbst anfangen. Das ist man auch den Millionen Fans unserer Nationalmannschaft schuldig. Fans, die sich mit diesen Spielern identifizieren wollen. Für mich war es nie „Die Mannschaft“, sondern „Unsere Mannschaft“ — und wird es auch immer bleiben.
Letztlich gibt es aus meiner Erfahrung nur einen Weg, Misserfolge und Fehlschläge zu verarbeiten: trainieren. Weitermachen, sich zeigen, spielen, spielen, spielen. Niederlagen gehören zum Sport. Doch solange man die Chance hat, zu zeigen, dass man es besser kann, muss man alles andere dafür zurückstellen. Ich hoffe, dass unsere Jungs in diesem Sinne sportlich mit der Blamage umgehen.
Sportlich bleiben, das wünsche ich mir auch in der Berichterstattung. Da geht es einerseits um Fairness. Einige Experten übertreiben für mich den Populismus. Wenn Mario Basler, der selbst Nationalspieler war, beispielsweise Mesut Özil die Körpersprache eines „toten Froschs“ vorwirft, dann ist das für mich daneben. Sachliche, sportliche Kritik müssen Profis aushalten. Mir gefällt allerdings nicht, dass Kritik oft komplett von den Ergebnissen abhängt. In den Monaten vor der WM hat man kaum ein sachlich-kritisches Wort über Taktik, Spielweise oder Mentalität des deutschen Teams gelesen. Dabei gab es Anlass genug. Jetzt wollen es alle schon immer gewusst haben. Diese Schwarz-Weiß-Malerei gefällt mir nicht. War nicht nach dem glücklichen Sieg gegen Schweden wieder alles gut?
Das Ausscheiden — so sehr es schmerzt — wird unserem Fußball nicht nachhaltig schaden. Im Gegensatz zu meiner Generation sind wir heute mit überragend talentierten Fußballern gesegnet. Aber wir hatten damals andere Tugenden, die wir in die Waagschale geworfen haben. Zum Beispiel den unbedingten Siegeswillen und die Bereitschaft, über unsere Grenzen zu gehen. Das hat zuletzt gefehlt — und das sage nicht ich allein, sondern die Spieler haben es selbst eingeräumt. Wenn aber in den Zweikämpfen Entschlossenheit und Härte fehlen, wird es schwer, seine Fähigkeiten durchzusetzen. Fußball ist immer noch ein körperbetontes Spiel — und eins, in dem man mutig sein muss. Mutig, wohlgemerkt, nicht hochmütig.
Wir haben uns ein bisschen zu sehr ausgeruht auf Ballbesitz-Statistiken. Wenn das gegnerische Team aus 20 Prozent Ballbesitz mehr Tore macht, dann sind die Zahlen Augenwischerei. Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr Spieler fördern und ausbilden, die etwas riskieren, die Dribblings wagen, unerwartete Dinge tun. Und wenn Jungs, die das können, ein wenig schwieriger sind, dann ist es erst recht die Aufgabe von Trainern und Ausbildern, sie nicht schon in der Jugend auszusortieren und durch bequemere Charaktere zu ersetzen, sondern sie ins Team einzubinden. Oder glaubt irgendeiner, dass Messi, Ronaldo oder Neymar bequeme Typen sind?
Ich glaube, es war die FDP, die im Wahlkampf einen Slogan benutzt hat, der mir gefallen hat — nicht aus parteipolitischen Gründen, sondern weil er eine Haltung beschreibt. Er hieß: „German Mut“. Wenn Sie mich fragen, was dem deutschen Fußball guttäte, um das Aus von 2018 zu überwinden, dann wäre das meine Antwort. Wir müssen wieder mutiger werden.
Zweimal stand Toni Schumacher im WM-Finale (1982 und 1986) und wurde Vizeweltmeister, er bestritt 76 Länderspiele. Als Torwart war er und als Vizepräsident ist er das Gesicht des 1. FC Köln, zu dessen größten Spielern aller Zeiten er zweifellos gehört. In seiner Kolumne verknüpft er seine Erlebnisse als Aktiver mit den modernen Fußballzeiten. Mit seiner Meinung hält er nicht hinter dem Berg — aber das war ja klar.