Leichtathletik Clemens Prokop: „Das kann nur ein Startsignal sein“
Im Interview mit uns fordert Clemens Prokop, Präsident des deutschen Leichtathletik-Verbands, noch härtere Strafen für Russlands Sportler.
Der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF hat alle russischen Leichtathleten von den Olympischen Spielen in Rio ausgeschlossen. Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, sprach danach von einem „historischen Tag“ — und forderte sogleich noch härtere Strafen.
Herr Prokop, werden die Olympischen Spiele in Rio durch den Ausschluss der russischen Leichtathleten sauberer?
Clemens Prokop: Es ist auf jeden Fall ein Schritt in eine verbesserte Chancengleichheit in Rio. Weil Athleten nicht teilnehmen dürfen, die sich in einem System vorbereiten, in dem keine vergleichbare Kontrolle im Anti-Doping-Bereich stattfindet. Und, wenn die vorgelegten Erkenntnisse stimmen, sogar systematisch gedopt wird.
Sie haben sogar einen kompletten Ausschluss russischer Athleten in Rio gefordert.
Prokop: Wenn 750 Doping-Kontrollen durch die Wada (Welt-Anti-Doping-Agentur, d. Red.) in Russland nicht durchgeführt werden konnten, wenn Doping-Proben vernichtet werden, wenn im Rahmen der Olympischen Spiele verhindert wird, dass reguläre Doping-Proben analysiert werden, um nur einige Beispiele zu nennen, dann sind das alles Vorgänge, die teilweise nicht nur und teilweise überhaupt nicht die Leichtathletik betreffen. Und wenn ich mit dieser Begründung die Leichtathleten von Olympia in Rio ausschließe, ist es nicht nachvollziehbar, warum die anderen Sportarten, die von diesen Dingen offenkundig in gleicher Weise betroffen sind, weiter unbeeinträchtigt in Rio starten sollen.
Wie groß ist denn der Doping-Sumpf in Russland? Ist er überhaupt noch überschaubar?
Prokop: Wenn ich die Erkenntnisse zugrunde lege, die auf den bisherigen Veröffentlichungen der Wada und auf den am Wochenende veröffentlichten Dar-stellungen des Sonderermittlers Rune Andersen beruhen, dann muss man sagen, dass Doping offenkundig weiterhin weit verbreitet ist und dass eine effiziente Bekämpfung und Kontrolle des Dopings nicht stattfinden.
Russlands Präsident Wladimir Putin verglich die Sanktion mit einer Gefängnisstrafe, die eine ganze Familie betrifft, obgleich nur ein einzelnes Familienmitglied eine Straftat begangen hat. Ist diese Kollektivstrafe auch ein Stück weit ungerecht?
Prokop: Natürlich kann ein solcher Schuldspruch theoretisch auch einen Sportler treffen, der sich persönlich nichts zuschulden kommen lässt. Auf der anderen Seite hat die Feststellung des IAAF-Ermittlers ergeben, dass Doping in Russland inzwischen so weit verbreitet ist, dass es mit System vertuscht wird und kein funktionierendes Kontrollsystem besteht. So kann man einfach nicht mehr feststellen, welcher Athlet sich an die Regeln hält und wer nicht. In dieser Interessenskollision haben die Interessen der Sportler Vorrang, die den stringenten Kontrollen unterliegen. Am Ende geht es immer um den Schutz der sauberen Sportler, und der muss absolute Priorität haben.
Wird der Ausschluss einen Sinneswandel in Russland nach sich ziehen?
Prokop: Die einzige Chance, dass sich überhaupt etwas verändert, sind solche Sanktionen. Wenn Verstöße gegen die grundlegenden Anordnungen im Doping-Kampf einfach hingenommen werden, dann wird sich nichts ändern. Gerade für Russland spielt ja der sportliche Erfolg auch in der Außenpolitik eine wichtige Rolle. Deshalb glaube ich tatsächlich, dass diese Sanktionen eine echte Chance sind, dass sich ein Wandel in der Mentalität einstellt und dementsprechende Veränderungen in Russland eintreten werden. Verbal ist es angekündigt. Jetzt geht es darum, dass den Worten noch Taten folgen. Ich hoffe, dass dem so ist, denn am Ende braucht der Weltsport auch Russland als Teilnehmer.
Der russische Leichtathletik-Verband erwägt nun, vor den Internationalen Sportgerichtshof zu ziehen. Ist die Entscheidung der IAAF wasserdicht?
Prokop: Ich glaube nicht, dass die Entscheidung der IAAF verändert oder aufgehoben wird. Wir haben einen Parallelfall bei den bulgarischen Gewichthebern. Hier hat der Internationale Sportgerichtshof die Entscheidung des Weltverbandes in der dortigen Sportart bestätigt. Entscheidende Maxime für den Sport ist ja die Chancengleichheit im Wettbewerb, und nach meiner Überzeugung hat die IAAF sehr überzeugend begründet, warum diese momentan bei Teilnehmern aus Russland nicht gegeben ist.
Ab Dienstag tagt das Internationale Olympische Komitee in Lausanne. Was steht dort in Sachen Doping auf der Agenda?
Prokop: Ich denke, dass bei dieser Sitzung diskutiert werden wird, wie man auf der einen Seite mit der Entscheidung der IAAF umgeht. Aber logisch wäre auch, darüber zu diskutieren, wie wir insgesamt mit der Teilnahme von Russland umgehen, weil die ganzen Vorwürfe, die gegen Russland erhoben worden sind, den Sport insgesamt betreffen. Deshalb ist es bezogen auf diese Vorwürfe unlogisch, die Konsequenzen nur auf eine Sportart zu reduzieren. Ich gehe davon, dass sich die IOC-Mitglieder damit intensiv beschäftigen werden.
Ist der Beschluss der IAAF ein Weckruf für andere internationale Sportverbände, dass der Kampf gegen Doping noch einmal eine neue Qualität bekommt?
Prokop: Das kann eigentlich nur ein Startsignal sein. Man hat jetzt tatsächlich relativ spektakulär ein Zeichen gesetzt. So ein Zeichen macht Hoffnung. Aber damit ist das Problem nicht gelöst. Ich glaube, man muss sich intensiv die Frage stellen: Wie kann man weltweit die Chancengleichheit im Sport verbessern? Das bedeutet, dass man zum einen konsequent gegen die Länder, die momentan den Ansprüchen der Weltsportgemeinschaft nicht gerecht werden, vorgeht. Und zum anderen muss man darüber nachdenken, ob die Struktur, die momentan in der weltweiten Anti-Doping-Bekämpfung besteht, auch wirklich ausreichend ist.
Ist es überhaupt möglich, dass es standardisierte Richtlinien gibt?
Prokop: Die Richtlinien gäbe es ja schon. Es fehlt eigentlich die Organisation, die diese Richtlinien konsequent und weltweit einheitlich anwendet.
Wird es die jemals geben?
Prokop: Ich hoffe es. Es ist eine Überlebensfrage für den Sport. Dieses Doping-Problem stellt die Glaubwürdigkeit des Sports insgesamt infrage. Und wenn der Sport nicht in der Lage ist, diese Frage glaubwürdig zu lösen, dann wird er irgendwann Probleme mit seiner Existenzberechtigung bekommen.