Doping-Totalschaden: Dunkler Schatten über WM - Bolt schweigt

Düsseldorf (dpa) - Die Sportwelt ist nach dem Doping-Erdbeben um die Sprint-Asse Tyson Gay und Asafa Powell erschüttert. Knapp einen Monat vor Beginn der WM in Moskau steht die Leichtathletik unter Generalverdacht.

Nur Superstar Usain Bolt, mit Kommentaren in den Sozialen Netzwerken meist genauso flink wie im Sprint, hüllte sich bis Montag in Schweigen. Dabei wird auch über den sechsmaligen Olympiasieger geredet und gemutmaßt. „Als normaldenkender Athlet sage ich, wenn man eins und eins zusammenzählt und sieht, dass viele Läufer, die langsamer als er waren, erwischt wurden, warum soll der schnellste Mann dann sauber sein?“, fragte der deutsche Sprinter Julian Reus.

Noch ist der Weltrekordler und Olympiasieger nie bei Kontrollen aufgefallen und gehört nach Angaben seines Managers Ricky Simms auch nicht zu den insgesamt fünf positiv getesteten jamaikanischen Athleten. „Ich bin gespannt, was bei den Weltmeisterschaften in knapp vier Wochen in Moskau passiert“, sagte der Wattenscheider Reus. „Wenn Usain Bolt dort Weltrekord laufen würde, würde mich das schon sehr stutzig machen.“ Immerhin sieht er die meistens hinterher rennenden deutschen Sprinter durch die Doping-Enthüllungen aufgewertet: „Für uns ist das ein positives Zeichen.“

IOC-Präsident Jacques Rogge zeigte sich „überrascht“ und „enttäuscht“ über die „schlechten Nachrichten“. Als Beleg für die Effizienz des Kontrollsystems sieht DOSB-Chef Thomas Bach die jüngsten Doping-Fälle. Es habe sich gezeigt, „dass die Dopingtests funktionieren und dass sich kein Betrüger sicher sein kann“, erklärte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Der IOC-Vize bezeichnete die Nachricht von den positiven Tests der Sprintstars daher auch als „ermutigend“.

Schnell reagierte der Sportartikelhersteller Adidas auf die schlechte Doping-Kunde und setzte den seit 2005 bestehenden Vertrag mit Gay aus, wie das deutsche Unternehmen mitteilte. „Wir sind durch die jüngsten Vorwürfe schockiert. Selbst wenn seine Unschuld noch bewiesen werden sollte, wird der Vertrag mit Tyson ausgesetzt“, erklärte Adidas-Sprecher Oliver Brüggen.

Für Anti-Doping-Experte Werner Franke kommen die positiven Tests der Supersprinter Gay und Powell nicht aus heiterem Himmel. Auch Jamaikas Staffel-Olympiasiegerin von 2004, Sherone Simpson, wurde wie drei weitere Athleten von der Karibik-Insel erwischt. „Diese Art von Sport ist total versaut, weil schon niemand allein in die Spitze kommt, der nicht drauf ist“, urteilte der 73-jährige Heidelberger.

Für den Nürnberger Pharmakologen und Anti-Doping-Streiter Fritz Sörgel steht die ganze Sportart nun unter Generalverdacht. „Die Leichtathletik und der Radsport schenken sich von der Glaubwürdigkeit nichts“, sagte er. „Für mich stehen in der Leichtathletik praktisch alle Disziplinen unter Verdacht. Solche Spitzenleistungen sind ohne Doping fast nicht möglich.“

Die verheerenden Schlagzeilen in der Weltpresse taten ein Übriges. „Le Figaro“ schrieb von einem „Donnerschlag“, der Schweizer „Blick“ vom „Totalschaden“. Der Weltverband IAAF bemühte sich in einer ersten Reaktion um Schadensbegrenzung vor der WM in Russland. „Die Glaubwürdigkeit unseres Anti-Doping-Programms und der Leichtathletik wird jedes Mal, wenn wir einen neuen Fall aufdecken, gestärkt, nicht geschwächt“, erklärte Nick Davies, stellvertretender IAAF-Generalsekretär.

Selbstkritisch äußerte sich das deutsche IAAF-Council-Mitglied Helmut Digel dazu, dass die IAAF in der Ära von Superstar Bolt zu sehr auf die Sprint-Karte bei der Werbung gesetzt hat. „Es sollte ein Warnsignal sein, dass wir die Wahrnehmung zu sehr auf die Topstars ausgerichtet haben. Dieses Risiko ist nicht kalkulierbar“, meinte der Tübinger Soziologe.

Die Fälle von Tyson, Powell und Co. werden nach Ansicht von DLV-Präsident Clemens Prokop Spuren hinterlassen. „Bei den schon länger unter Generalverdacht stehenden Sprintern werden diese positiven Tests für eine Verunsicherung in der Szene sorgen“, sagte der Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Für die Leichtathletik sei das „ein Schock“, aber auch ein positives Zeichen. „Die Doping-Tests scheinen besser zu sein“, hoffte er.

Bei der WM sei die Luft im Sprint nun raus. „Nach dem Ausfall von Gay wird es einen schweren Spannungsabbau geben“, befürchtete Prokop. Denn auch der Start von Bolts Trainingspartner Yohan Blake, dem Titelverteidiger, ist wegen einer Verletzung mehr als fraglich.

Während Gay, der schnellste Mann in diesem Jahr über 100 Meter in 9,75 Sekunden, den WM-Auftritt schon abgesagt hat, warten Powell, die Olympia-Zweite von 2008, Sherone Simpson, sowie drei weitere Jamaikaner auf die Analyse ihrer B-Probe. Sie gaben allerdings in einer Erklärung zu, dass bei einer Doping-Kontrolle während der WM-Qualifikation ihres Landes im Juni das verbotene Stimulanzmittel Oxilofrin gefunden wurde. Powell, Simpson und auch Gay beteuerten allesamt, nicht wissentlich gedopt zu haben.

Unterdessen wurde bekannt, dass Powells Konditionstrainer nach einem Bericht der jamaikanischen Zeitung „The Gleaner“ während eines Trainingscamps in Italien von der Polizei in Gewahrsein genommen worden sei. Demnach soll Powell der Polizei Mittel ausgehändigt haben, die der Trainer ihm und auch Sherone Simpson gegeben habe.

Neben Powell und Simpson gehört offenbar auch Diskuswerferin Allison Randall zu den positiv getesteten Athleten aus Jamaika. Randall, die mit 61,25 Metern den jamaikanischen Diskus-Rekord hält, soll mit der Substanz Hydrochlorothiazid aufgeflogen sein. Das Präparat wird zur Senkung des Blutdrucks verwendet. Sie sei „überrascht und geschockt“ und werde sich allen Testverfahren zur Verfügung stellen, um ihre Unschuld zu beweisen, sagte Randall.

Als eine Konsequenz aus den neuen Doping-Fällen wurde sofort wieder die Forderung nach einer Verschärfung der Sanktionen laut. „Tyson Gay gesteht Doping...eine Lebenslange Sperre sollte meiner Meinung nach hier verhängt werden!!“, twitterte Raphael Holzdeppe, der Olympia-Dritte im Stabhochsprung von London. Auch sein DLV-Teamkollege Reus plädierte für einen lebenslangen Bann: „Wenn einer überführt wird, sollte man es durchsetzen.“