Obergfölls Comeback-Pläne: „Habe alle Zeit der Welt“
Hohberg-Diersburg (dpa) - Christina Obergföll nimmt Marlon in ihre starken Arme, gibt ihm das Fläschchen und spricht nebenbei über ihren Traum von Olympia-Gold 2016 in Rio de Janeiro.
„Da bist du schon zwei, da darfst du vielleicht schon mitkommen“, sagt sie zu ihrem vier Monate alten Söhnchen und strahlt ihn an. Völlig entspannt geht die Speerwurf-Weltmeisterin und „Sportlerin des Jahres“ 2013 ihr Comeback an; die ersten Trainingseinheiten liegen hinter ihr. „Ich habe alle Zeit der Welt.“ Gelassen ist sie geworden. „Ich will nochmal angreifen, aber wenn es nicht klappt in Rio wäre es kein Weltuntergang. Früher wäre es ein Weltuntergang für mich gewesen“, sagt Obergföll der Nachrichtenagentur dpa.
Das perfekte Timing ihrer Familien- und Karriereplanung muss der 33-jährigen Offenburgerin erstmal jemand nachmachen. Am 18. August 2013 gewann Obergföll bei der Leichtathletik-WM in Moskau - nach zuvor fünfmal Silber bei internationalen Titelkämpfen - „endlich, endlich, endlich Gold“. Noch im Luschniki-Stadion sagte sie damals: „Wir denken darüber nach, eine Familie zu haben.“ Heute lacht sie laut los: „Acht Wochen später war ich schwanger.“
Wir - das sind Obergföll und ihr Mann Boris, der im vergangenen Jahr die Wette mit seiner Liebsten verloren hatte und nach deren WM-Triumph bei der Hochzeit am 21. September ihren Zungenbrecher-Namen angenommen hat. Als Boris Henry war er ebenfalls ein Weltklasse-Werfer und ist jetzt Bundestrainer für den Speerwurf Männer. Derzeit macht er seinen Diplom-Trainerschein, weilt unter der Woche oft beim Lehrgang in Köln. Sie genießt das Dasein als Mutter im neuen Traumhaus in Diersburg in der Ortenau: Der Blick aus den Fenstern geht auf Weinberge und bis in die Vogesen.
Seit drei Wochen trainiert Obergföll wieder: Kraft und Athletik, oft mit Zirkeltraining und Basketball, fünfmal die Woche, bei ihrem langjährigen Coach Werner Daniels. Die Technikeinheiten bei ihrem Mann können noch warten. Ihr Vorbild ist ihre Rivalin Barbora Spotakova: Mit der Weltrekordlerin und zweimaligen Olympiasiegerin tauscht sich Obergföll öfter per Mail aus. Wie das denn so ist, wenn man ein Baby bekommen hat und wieder mit dem Leistungssport anfängt? „Ganz schön anstrengend. Manchmal bringt es einen an den Rand des Wahnsinns“, hatte Spotakova ihr schon im vergangenen Jahr prophezeit.
Die Tschechin wurde im Sommer, nur ein Jahr, nachdem sie Sohn Janek zur Welt gebracht hat, bereits wieder Europameisterin. „Sie hat drei Monate nach der Geburt schon 62 Meter geworfen, schon krass. Das könnte ich nicht“, sagt Obergföll.
Die Olympia-Zweite von London 2012 und deutsche Rekordhalterin mit 70,20 Metern stellte erstmal fest, dass es keinen so richtigen Experten für Leistungssportlerinnen in ihrer Situation gibt. So hat sie sich kundig gemacht bei Leichtathletinnen wie Spotakova, Heike Drechsler oder Astrid Kumbernuss, die alle als Mütter große Erfolge feierten. „Nicht auf Maximalkraft gehen im Training“, das riet ihr Dieter Kollark, einst Coach und Lebensgefährte der früheren Kugelstoß-Weltmeisterin Kumbernuss.
„Ich bin erstmal Einsteigerin und muss das richtige Maß finden“, sagt Obergföll. Sie hofft auch, dass sich Gelenke, Bänder und Sehnen etwas erholt haben in ihrer Auszeit seit Mai, dass sich die Ellbogen- und Rückenprobleme vielleicht erledigt haben. Zur Zeit plagt sie nur Schlafmangel, weil Marlon zweimal die Nacht trinken will, und Muskelkater. Aber wenn sie verschwitzt und ausgepowert vom Training kommt, sei sie richtig glücklich. Ihr Trainer Daniels macht ihr Mut: „Du warst nicht verletzt, sondern schwanger.“
Die größte Herausforderung ist erstmal eine organisatorische. „Ich habe erst gedacht, dass ich Marlon mitnehmen kann zum Training. Das funktioniert aber nicht.“ Ihre Mutter oder eine Tagesmutter übernehmen dann. Ende Februar ist schon ein Trainingslager in Stellenbosch/Südafrika geplant, im April in Portugal, da soll der Filius mit. Nicht aber nach China, wenn Obergföll bei der WM nächsten Sommer in Peking antreten sollte. Eine Wildcard hat sie als Titelverteidigerin, „aber ich werde nur dabei sein, wenn ich ein bisschen was kann, wenn es sich lohnt.“ 2014 will sie erstmal „komplett“ für Marlon da sein.
Und Rio 2016? „Ich glaube, dass ich da nochmal mitwerfen kann“, sagt sie und grinst: „Die anderen sind doch auch alle Mütter.“ Spotakova sowieso. Und Ex-Weltmeisterin Maria Abakumowa aus Russland ist fünf Tage vor Obergföll Mutter geworden - von Zwillingen.