Reus-Rekord als Rückenwind: Deutsche Sprinter geben Gas
Zürich (dpa) - Gut zwei Wochen nach seinem Rekordlauf von Ulm soll Julian Reus die seit 1986 währende Medaillenflaute über die 100 Meter bei kontinentalen Titelkämpfen endlich beenden - und das in Zürich, wo Idol Armin Hary vor 54 Jahren glänzte.
Der 26-jährige Wattenscheider war noch nicht geboren, als ein deutscher Sprinter zuletzt über 100 Meter auf das Podest bei Europameisterschaften stürmte. Reus strebt ebenso wie Lucas Jakubczyk aus Berlin erst einmal den Endlauf an. „Ich möchte drei schöne Läufe bei der EM machen. Das Finale ist mein Anspruch, und das müsste auch machbar sein. Aber der Sprint verzeiht keine Fehler“, sagte Reus.
Das bislang letzte internationale Edelmetall für einen deutschen Sprinter auf der Königsdistanz hatte der Leipziger Steffen Bringmann vor 28 Jahren als Zweiter gewonnen. Danach erreichte nur noch Ronny Ostwald 2006 ein Finale.
Bei den Frauen glänzte die Mannheimerin Verena Sailer 2010 in Barcelona als Europameisterin. Im Letzigrund-Stadion will die 28-Jährige ebenso wie die deutsche Meisterin Tatjana Pinto aus Münster und das Duo Reus/Jakubczyk in den Endlauf.
Reus ist mit seinen 10,05 Sekunden von Ulm, wo er die beinahe 30 Jahre alte Bestmarke des Magdeburgers Frank Emmelmann verbessert hatte, derzeit der Drittschnellste auf dem Kontinent und damit ein Medaillenkandidat. Der zuletzt angeschlagene Franzose Jimmy Vicaut rannte in dieser Saison bereits 9,95 Sekunden. Sein Landsmann Christophe Lemaitre hofft auf den dritten 100-Meter-Titel nacheinander und zählt ebenso zu den Favoriten für die Entscheidung.
1960 war ein legendärer deutscher Leichtathlet im Letzigrund-Stadion nach nur 10,0 Sekunden ins Ziel gestürmt: Armin Hary. Die Zeit war allerdings handgestoppt und steht deshalb nicht in den Rekordlisten. „9,99 sind machbar“, sagte Reus kürzlich. „Meine Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen.“ In Zürich will er seine „Hausaufgaben machen und erstmal das Halbfinale erreichen“. Dann könne man auch seriöse Ziele formulieren.
Eine Zeit unter der magischen 10-Sekunden-Grenze wäre „so etwas wie der Adelsschlag“, sagte Clemens Prokop. Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) ist froh, „dass wir die Misere, die wir im Sprint lange hatten, endlich überwunden haben. Wir können im Konzert der Großen zumindest mitreden, auch wenn man weiß, dass es Ausnahmekönner gibt, mit denen man nicht mithalten kann. Wir sind aber wieder dabei.“
Die Entwicklung habe sich abgezeichnet und sei eine Folge der wirklich intensiven Trainingsbegleitung im Sprint. So gab es ein langes Trainingslager in Florida vor der Staffel-WM im Mai auf den Bahamas. „Solche Maßnahmen zahlen sich aus. Wir haben zurzeit mehrere gleichwertige und sehr schnelle Sprinter. Diese Konkurrenz belebt natürlich in besonderer Weise die Leistungsentwicklung“, sagte Prokop. In Trainingslagern schauen Reus, Jakubczyk und Co. auf Youtube Filme von Weltklasse-Sprintern rauf und runter. „Abends diskutieren wir manchmal stundenlang, was uns besser machen könnte“, erzählte Reus.