Die Lisicki-Story: „Von Null“ zu Centre-Court-Sieg

London (dpa) - Am Morgen nach der vorläufigen Krönung ihres beeindruckenden Tennis-Comebacks in Wimbledon konnte Sabine Lisicki genüsslich die englischen Gazetten aufschlagen.

Überall wurde die erstaunliche Geschichte der Berlinerin erzählt, die mit ihrer Willensleistung gegen French-Open-Siegerin Li Na für den ersten „Schock des Turniers“ (BBC) gesorgt hatte. „Sabine löst China-Krise aus“, titelte der „Daily Mirror“. Lisicki habe mit ihrem 3:6, 6:4, 8:6-Sieg „eine Milliarde Herzen“ gebrochen.

Dabei war für die Deutsche das Turnier fast schon beendet: Zwei Matchbälle hatte die 21-Jährige beim Stand von 3:5 im dritten Satz gegen sich. Was folgte, war ein Moment, der Lisickis Karriere verändern könnte. Beflügelt von der gewaltigen Kulisse jagte die „Rampensau“ (Kollegin Andrea Petkovic über Lisicki) zwei Service-Winner und zwei Asse übers Netz. 122, 123, 124, 124 Meilen pro Stunde hieß es auf der Anzeigetafel. Li Na begann zu verzweifeln. „Das ist fast unmöglich für eine Frau“, stammelte sie.

Lisicki weiß, dass ihre brachialen Aufschläge sie in London zu einem Geheimtipp machen: „Es ist gut, so eine Waffe zu haben.“ Die Veranstalter der 125. All England Championships dürften sich jedenfalls auf die Schulter geklopft haben. Sie hatten Lisicki nach deren Turniersieg von Birmingham eine Wildcard ausgestellt. „Ich denke, es war eine gute Entscheidung“, scherzte Lisicki.

Bevor die Frohnatur auf dem Centre Court überwältigt von ihren Gefühlen auf die Knie sinken und Tränen des Glücks vergießen konnte, lag eine lange Leidenszeit hinter ihr. „Ich musste nach sieben Wochen an Krücken wirklich von Null anfangen. Deshalb bedeutet mir dieser Sieg so unglaublich viel“, sagte Lisicki, die in der dritten Runde am Samstag auch gegen die Weltranglisten-133. Misaki Doi aus Japan alle Chancen hat.

Vor zwei Jahren schien der blonden Power-Frau schon einmal die Tennis-Welt offen zu stehen. Dem Turniersieg in Charleston ließ Lisicki den Viertelfinal-Vorstoß in Wimbledon folgen - die damals 19-Jährige lehrte die Weltelite unbekümmert das Fürchten. Doch dann begann für Lisicki die „harte Zeit“. Erst schmerzte die Schulter, dann spielte das Sprunggelenk nicht mit. Lisicki rutschte von Rang 23 auf Platz 218 der Weltrangliste ab.

Im Frühjahr 2010 war für die Schülerin aus der Kaderschmiede von Trainer-Guru Nick Bollettieri eine Operation unumgänglich - und der Weg zurück qualvoll. Den Glauben an sich selbst hat Lisicki aber nie aufgegeben. „Ich habe immer gewusst, dass ich zurückkomme. Und ich bin noch stärker zurückgekommen“, betonte die Fed-Cup-Spielerin.

Selbst vom jüngsten Rückschlag bei den French Open ließ sich Lisicki nicht beirren. Nach der Partie gegen die Russin Vera Swonarewa, in der sie einen Matchball vergab, musste die weinende Berlinerin von Krämpfen geplagt mit einer Trage vom Platz gebracht werden. „Mir ging es echt ziemlich schlecht“, berichtete sie.

Erst seit Lisicki weiß, dass eine Gluten-Allergie verantwortlich für die Probleme war, ist sie beruhigter. Die 21-Jährige muss ihre Ernährung umstellen, Pasta und Vollkornbrot sind tabu. „Das ist ein wichtiger Schritt in die Zukunft“, meinte Lisicki. Als Vorbild dient ihr dabei der serbische Weltranglisten-Zweite Novak Djokovic, der die gleichen Schwierigkeiten in den Griff bekommen hat.

Übrigens: Es ist nicht das erste Mal, dass ein Wild-Card-Inhaber an der Church Road für Furore sorgt. 2001 schockte ein gewisser Goran Ivanisevic die Konkurrenz. Der Rest ist Geschichte: Der Kroate stürmte als Ungesetzter ins Finale und hielt am Ende die Trophäe in den Händen.