Furiose Lisicki mit nächster Wimbledon-Sensation
London (dpa) - Draußen blitzte und donnerte es, unter dem Hallendach brannte Sabine Lisicki ein Feuerwerk ab: 15 Jahre nach Steffi Grafs letztem Wimbledon-Sieg greift die Berlinerin sensationell nach der Krone der 125. All England Championships.
Mit dem dramatischen 6:4, 6:7 (4:7), 6:1 über die französische Weltranglisten-Neunte Marion Bartoli fügte Lisicki am Dienstag ihrem Tennis-Märchen ein weiteres denkwürdiges Kapitel hinzu und stürmte erstmals ins Halbfinale. „Es fühlt sich fantastisch an, im Semifinale zu stehen. Das ist toll für das deutsche Tennis“, jubelte Lisicki, die im Moment des Triumphes „sprachlos“ war: „Ich bin so glücklich.“
Die 21-Jährige, die sich selbst von drei vergebenen Matchbällen im zweiten Satz nicht beirren ließ, ist die erste Deutsche in der Vorschlussrunde eines Grand-Slam-Turniers, seit Graf vor zwölf Jahren letztmals in Wimbledon aufschlug. „Steffi war die letzte hier im Halbfinale. Jetzt bin ich es. Das ist unglaublich“, stammelte die blonde Power-Frau.
Im Semifinale trifft Lisicki am Donnerstag auf die frühere Wimbledon-Siegerin Maria Scharapowa, die die Slowakin Dominika Cibulkova mit 6:1, 6:1 vom Platz fegte. Gegen die Russin hatte die Wahl-Amerikanerin Ende März in Miami das einzige Duell mit 2:6, 0:6 verloren. „In jeder Runde werde ich noch ein bisschen besser. Ich habe absolut nichts zu verlieren“, sagte Lisicki. „Ich muss gegen Scharapowa mein bestes Tennis spielen. Ich freue mich darauf.“
Der elfte Rasen-Sieg in Serie garantiert ihr ein Rekord-Preisgeld von 275 000 Pfund (307 154 Euro) und den Sprung unter die Top 30 der Weltrangliste. Zugleich ist die Himmelsstürmerin erst die zweite Spielerin nach der Chinesin Zheng Jie 2008, die als Wild-Card-Starterin die Runde der letzten Vier an der Church Road erreichte.
Ein großes Lob bekam der Shooting-Star von Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner: „Hut ab. Wenn man nach drei vergebenen Matchbällen noch gewinnt - das ist schon unglaublich gut.“ Selbst den Turniersieg traut Rittner ihrer neuen Vorzeigeathletin nun zu: „Träumen ist erlaubt. Es sind ja nur noch zwei mehr.“
Rittners Fahrplan hatte gelautet: „Sabine muss mit der Körpersprache von Anfang an dagegenhalten.“ Und Lisicki, 2010 monatelang verletzt und zwischenzeitlich nur die Nummer 218 der Tennis-Welt, hielt sich gegen die Finalistin von 2007 daran. Gleich zu Beginn nahm sie Bartoli, die in der Runde zuvor Titelverteidigerin Serena Williams aus den USA ausgeschaltet hatte, den Aufschlag ab.
Selbst ein Rebreak zum 1:1 brachte die Weltranglisten-62. überhaupt nicht aus dem Takt. Während der Regen aufs Dach prasselte und gewaltigen Lärm verursachte, zog Lisicki schnell auf 4:2 davon und streute immer wieder geschickt Stopps ein. Selbstbewusst trumpfte die gewaltige Aufschlägerin auch in der Folge auf und brachte nach 43 Minuten den ersten Satz sicher unter Dach und Fach.
Im zweiten Durchgang war die clevere Bartoli - ihr Intelligenzquotient soll bei 175 liegen - lange ebenbürtig und lag sogar 3:1 vorn. Doch Lisicki ließ nicht locker und glich postwendend aus, ehe ihr das Break zum 5:4 gelang. Dann aber folgte ein kurzes Drama, als Lisicki drei Matchbälle bei eigenem Aufschlag leichtfertig vergab und Bartoli nach dem gewonnenen Tiebreak Morgenluft witterte.
„Ich habe gefühlt, dass ich die bessere Spielerin bin“, erklärte Lisicki, warum sie den Dämpfer so imposant verdaute. Im dritten Satz gelang ihr ein frühes Break zum 2:0. Und da die Viertelfinalistin von 2009 anschließend ihr Service nicht mehr im Stich ließ, konnte sie nach 2:21 Stunden jubeln beide Hände in die Höhe recken.
Um 13:14 Uhr Londoner Zeit hatten Lisicki, den Kopfhörer im Ohr, und Bartoli mit etwas Verspätung den Centre Court betreten. Für die 21-Jährige war es ein gutes Omen, dass es an der Church Road wieder stürmte. Schon ihr furioser Zweitrundensieg über die chinesische French-Open-Siegerin Li Na hatte die Blondine unter dem Hallendach gefeiert - und auch diesmal ballte sie glücklich die Faust.
Als letzte Deutsche hatte Steffi Graf 1999 in ihrer Abschiedssaison das Halbfinale in Wimbledon erreicht, ehe die Grand-Slam-Rekordsiegerin das Endspiel gegen Lindsay Davenport (USA) verlor. Sollte Lisicki ihr Wimbledon-Märchen krönen, wäre sie nach Cilly Aussem (1931) und der siebenmaligen Gewinnerin Graf die dritte deutsche Wimbledon-Siegerin im Einzel.