In Gelsenkirchen kommt man gerade der Antwort auf die Frage näher, ob die 34 Jahre alte US-Sängerin der größte Popstar aller Zeiten ist. Ein Tauchgang vor Ort. Die eigene Welt der Taylor Swift

GELSENKIRCHEN · Es ja wird dieser Tage von musikwissenschaftlich-nüchtern über altklug bis hin zu fanleidenschaftlich-hitzig darüber gestritten, ob Taylor Swift, 34, nun wirklich der größte Popstars dieses Planeten ist, auf dem schon so viele Popstars wandelten.

17.07.2024, Nordrhein-Westfalen, Gelsenkirchen: US-Sängerin Taylor Swift steht in der Veltins-Arena auf der Bühne. Es ist das erste Deutschland-Konzert im Rahmen ihrer «The Eras Tour». Foto: Marius Becker/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung über das Konzert in Gelsenkirchen. Keine Verwendung für Magazin-Cover oder Buchpublikationen. +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Marius Becker

Oder ob sie es doch nicht ist, weil: Madonna hat doch den Weg bereitet! Und Pink verkauft ebenfalls Stadien aus! Und Adele lässt in München gerade eine eigene Adele-Kleinstadt aus dem bayrischen Boden stampfen, in der sie und ihre Fans dann zehn Konzerte lang leben. Und überhaupt sind da ja auch noch: Billie Eilish, Olivia Rodrigo, Ariana Grande, Beyonce. Und bei den Männern Ed Sheeran und The Weeknd. Und Supergroups und die Stones und die Beatles.

Plötzlich knallt
es überall

Doch dann ist es am Ende nur ein kleiner, ein fußlanger Schritt, der die Antwort auf die Popstarfrage liefert. Oder besser: Der sie einem vor den Latz knallt. Der erste Schritt rein in die Stadt Gelsenkirchen nämlich, wo Taylor Swift in der Arena die ersten drei Deutschlandkonzerte ihrer seit 2023 stets den Planeten umspannenden „Eras“-Welttournee absolviert. Und wo eine eigene Welt entstanden ist. Und zwar so, wie die Sonne irgendwann mal entstanden sei muss: Plötzlich knallte es überall und dann war da dieser Feuerball und bestimmt seitdem alles drumherum.

Die Fans im Swift-Universum – in dem nur die Notwendigkeit des Atmens, Essens und Trinkens an alles außerhalb der Universumsgrenzen erinnert – tragen keine Kleidung. Sie tragen eine zweite, eine Swift-Haut. Sie ist jeweils angelehnt an das übergeordnete Thema eines jener elf Alben dieser Pop-Überirdischen, die auch am zweiten Abend im Pott über pausenlose sagenhafte drei Stunden und 40 Minuten mit nicht minder sagenhaften 45 Songs präsentiert werden. Die Swifties tauschen an jeder Ecke und in jeder 100-Meter-Menschenreihe vor den Merchandise-Ständen ihre selbstgemachten Armbändchen mit Songzeilen, von denen jeder hier beide Handgelenke voll hat. Alle kommen von überall her. Viele von diesen allen sogar aus Übersee – so wie Michelle aus South Carolina, die ihren Mann John mit nach Deutschland geschleppt hat, um mit ihm hier den zehnten Hochzeitstag im Stadion-Innenraum zu feiern. John trägt mit Stolz ein Shirt, auf dem steht: „Swiftie by marriage“ und zeigt damit: Er hat neben Michelle auch Taylor Swift geheiratet, als er 2014 „Ja“ sagte. Mitgehangen, mitgefangen. Es macht ihm nichts aus. Er lacht selig. Wie überhaupt alle hier selig lachen auf einem „Für alle!“-Planeten weit weg von der bis ins Mark verkorksten Erde.

Und dann ist da ja nicht zuletzt auch noch Tylor Swift selbst, die von dem Moment an, in dem sie die Bühne betritt, wirklich und wahrhaftig alles in Grund und Boden stampft mit dem, was sie hat und anbietet und auf die Menge loslässt.

Etwas unterscheidet
diese Künstlerin von allen

Klar: Die gigantomanische Bühnenshow mit Riesenleinwand sogar auf dem bis über die Hallenmitte hinausragenden Mittelsteg, mit Feuerwerk, mit um sie her Tanzenden, mit Special Effects im Halbminutentakt und mit Kostümwechseln im Wimpernschlagtempo ist das eine. Es würde schon ausreichen, um die Großartigkeit dieses ganzen Konzert-Wahnsinns hier zu zeigen.

Vor allem aber entfaltet sich an diesem Abend wohl auch den letzten Zweifelnden, so sie denn den Weg nach Swiftkirchen gefunden haben sollten, was diese Künstlerin von allen anderen unterscheidet, die sich seit vielleicht der jungen Madonna oder seit dem ebenfalls eine solche Bugwelle des ergebenden Fantums vor sich herschiebenden Michael Jackson daran versucht haben, die Menschen auf einzigartige Weise zu verzücken: Taylor Swift kennt partout keine Limitierungen. Sie macht, so wie sie gerade Lust hat, vor Fröhlichkeit berstenden Mainstream-Pop, düsteren Indie-Pop, Folk, Country, Rock. Sie tanzt wie irrsinnig. Sie sitzt am Klavier und rührt mit Balladen zu Tränen. Sie hängt sich die Glitzergitarre um. Und nicht zu unterschätzen und hoch genug anzurechnen: Jeder Song ist eine eigene Story, die von dieser besessenen Story-Tellerin ebenso inhaltlich wie akustisch wie optisch bis zum Maximum ausgereizt erzählt wird – manchmal, wie bei „All too well“, sogar zehn Minuten lang.

Es ist ein Konzert, das irgendwie gar nicht aufhören will und eigentlich auch gar nicht aufhören soll. Schließlich ist es nicht selbstverständlich, sondern vielmehr ein großes Glück, einer Künstlerin dabei zusehen und zuhören zu können, wie sie eine komplette Generation von Menschen einer Welt prägt. Mindestens.