Analyse: Deutsch-französisches Verhältnis belastet
Berlin/Paris (dpa) - Natürlich ist es nur ein Detail. Aber bislang gehörte es zu den deutsch-französischen Selbstverständlichkeiten, dass sich ein neuer Außenminister aus Berlin oder Paris schnellstmöglich auf den Weg zum wichtigsten Partner machte.
Der gegenwärtige Chef des Quai d'Orsay, Alain Juppé, ist nun schon fast einen Monat im Amt. In Berlin war er seither noch nie. Inzwischen gibt es für den Antrittsbesuch nicht einmal mehr einen Termin.
Gerechterweise muss man nun hinzufügen, dass Juppé und Guido Westerwelle bei verschiedenen internationalen Gelegenheiten schon mehrmals aufeinandertrafen. Außerdem musste die Reise nach Berlin schon zweimal wegen wichtigerer Termine verschoben werden. Letzte Woche lag dies daran, dass Juppé unbedingt vor dem UN-Sicherheitsrat einen Militäreinsatz gegen Libyen erreichen wollte.
Das führt zum Kern der gegenwärtigen Schwierigkeiten zwischen Berlin und Paris. In der Frage, wie man den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi loswerden kann, sind die beiden Regierungen völlig unterschiedlicher Ansicht. Und machen auch kein Geheimnis daraus, dass man von der Position des anderen nur wenig hält. Im UN-Sicherheitsrat traten Europas wichtigste Partner praktisch gegeneinander an. Erfolg hatte Paris.
Der „Figaro“ wertete die deutsche Enthaltung als „heftigen Schlag für die deutsch-französische Freundschaft“. Das regierungsnahe Blatt zitierte dazu einen hochrangigen französischen Diplomaten mit den Worten: „Ein großer Fehler, der Deutschland politisch teuer zu stehen kommt.“ Die „Monde“ sprach nicht nur von „fehlender Solidarität“, sondern auch von „fehlender Reife“.
Offiziell hält sich die Pariser Regierung mit Kommentaren zurück. Dafür wird der Unmut in Hintergrundgesprächen umso deutlicher. Aber dies ist in Berlin derzeit nicht anders. In kleiner Runde lassen deutsche Regierungsmitglieder keinen Zweifel daran, dass sie den Einsatz weiterhin für einen Fehler halten. Das Ziel sei nicht klar definiert, die Folgen für die gesamte arabische Welt nicht durchdacht.
Verantwortlich gemacht wird Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der aus Eigennutz vorgeprescht sei - weil nächstes Jahr Wahlen anstehen, aber auch, um vergessen zu machen, dass Frankreich wegen seiner Nähe zu verschiedenen arabischen Herrschern seit Beginn der Freiheitsbewegung keine besonders gute Rolle spielte. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger wurde am Mittwoch auch öffentlich deutlich: „Ich kann nicht erkennen, dass wir uns von denjenigen kritisieren lassen, die selber Alleingänge machen.“
Der Libyen-Konflikt ist aber nicht das einzige Feld, wo die Meinungsverschiedenheiten zwischen Paris und Berlin offensichtlich sind. Weitere Beispiele sind seit Monaten schon die Stabilisierungsversuche für den Euro oder aktuell die Frage, wie die Europäer auf die Atomkatastrophe in Japan reagieren sollen: Von einer gemeinsamen Energiepolitik ist man vermutlich noch weiter entfernt als von einer gemeinsamen Außenpolitik.
Der Vize-Direktor des Deutsch-Französischen Instituts, Henning Uterwedde, stellt zwischen Berlin und Paris eine „gewisse Entfremdung“ fest. „Man vergrätzt sich gegenseitig. Dabei müsste es zwischen Partnern möglich sein, unterschiedliche Auffassungen vernünftig miteinander auszutragen. Die Beziehung war schon wesentlich herzlicher.“
Der Professor aus Ludwigsburg gibt Sarkozy einen Großteil der Schuld daran. „Dass so ein Typ den Deutschen wahnsinnig auf den Senkel geht, kann man verstehen. Aber vielleicht haben wir nächstes Jahr ja einen anderen französischen Präsidenten und jemand anderes im Kanzleramt.“ Grundsätzlich ist Uterwedde um die Partnerschaft nicht bange. „Das wird sicherlich Narben und Spuren hinterlassen, aber keine tiefergehenden Risse.“
Damit befindet sich der Professor dann wieder im Einklang mit den offiziellen Stellungnahmen. Westerwelle tat auch schon kund, dass er sich um das deutsch-französische Verhältnis keine Sorgen mache. Frankreichs Europaminister Laurent Wauquiez - der seinen Antrittsbesuch in Berlin schon hinter sich hat - stellte fest: „Es gibt eine unterschiedliche Empfindlichkeit. Aber das ist ja deswegen nicht das Ende der deutsch-französischen Beziehungen.“