Analyse: Mittäterin oder nicht? Anklage zugelassen
München (dpa) - Alles andere wäre eine Überraschung gewesen: Die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe muss sich tatsächlich wegen Mittäterschaft an den zehn Morden des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ vor Gericht verantworten.
Mit dieser Entscheidung ist das Oberlandesgericht München der fast 500 Seiten starken Anklage von Generalbundesanwalt Harald Range ohne Änderungen gefolgt.
Range hätte es sich einfach machen können. Er hätte die 38-Jährige lediglich wegen Beihilfe zum Mord anklagen können - schließlich sollen es Zschäpes tote Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen sein, die sämtliche NSU-Morde verübt haben. Opfer waren neun türkisch- und griechischstämmige Kleinunternehmer und eine Polizistin. Range aber ist den schwierigeren Weg gegangen: Er wirft Zschäpe vor, Mitbegründerin und gleichberechtigtes Mitglied des NSU gewesen zu sein. Und: Er wirft ihr Mittäterschaft an den Morden vor - und an den anderen Taten des rechtsextremistischen Terror-Trios.
Theoretisch wäre nun möglich gewesen, dass das OLG die Anklage in Bezug auf die Morde nur eingeschränkt zulässt - was aber von Experten eigentlich ausgeschlossen worden war. Das müsse und könne lediglich in dem Prozess selbst geklärt werden, hieß es da immer wieder.
Juristisch macht es im Prinzip keinen Unterschied, ob jemand selbst einen Mord begeht - oder ob er als Mittäter im Hintergrund bleibt, aber von dort aus einen wesentlichen Beitrag zur Tat erbringt. „Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter)“, heißt es dazu im Strafgesetzbuch. Also: Dem Mittäter eines Mordes droht genauso die lebenslange Freiheitsstrafe wie demjenigen, der den Abzug drückt.
Und das ist die Argumentation der Bundesanwaltschaft: Sie sieht Zschäpe nicht als harmloses Heimchen am Herd, sondern als gleichberechtigtes Mitglied der Terrorgruppe. Dafür spreche vor allem, dass sie das Geld der Gruppe verwaltet habe, und dass sie dabei geholfen habe, gefälschte Dokumente und mindestens eine Waffe zu beschaffen. Die drei NSU-Mitglieder hätten sich als ein „einheitliches Tötungskommando“ verstanden, argumentierte Range.
Das wird auch ein zentraler Punkt in dem spektakulären Mammutprozess sein, der voraussichtlich im April unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen vor dem OLG beginnen soll: Folgen die fünf Richter unter Vorsitz des erfahrenen Juristen Manfred Götzl der Mittäter-Argumentation der Bundesanwaltschaft oder nicht?
„Das Hauptproblem wird sein, ob die Mittäterschaft bewiesen werden kann“, sagte der Präsident des Münchner Oberlandesgerichts, Karl Huber, am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa in München. „Das wird das Schwierigste bei dem Verfahren.“
Der Vorsitzende Richter Götzl (59) gilt als gründlich und hart. Bereits als Vorsitzender der Schwurgerichtskammer am Landgericht München I verhandelte der erfahrene Jurist spektakuläre Fälle: 2005 verurteilte er den Mörder des Modezaren Rudolph Moshammer zu lebenslanger Haft. 2009 sorgte er mit einer lebenslangen Haftstrafe gegen den damals 90-jährigen früheren Wehrmachtsoffizier Josef Scheungraber wegen eines Massakers an italienischen Zivilisten für Aufsehen. 2010 übernahm Götzl den 6. Senat am Oberlandesgericht, zuletzt verhandelte er gegen acht Helfer der deutschen Sektion des Propagandanetzwerks „Globale Islamische Medienfront“. Von den Medien hält er sich fern - umso mehr, seit klar ist, dass sein Senat das NSU-Verfahren führen wird. Präsident Huber schirmt die Richter ab.
Und der Prozess wird einer der spektakulärsten in der Geschichte der Bundesrepublik. 600 Zeugen wurden benannt, es gibt Dutzende Nebenkläger. Angeklagt sind neben Zschäpe vier weitere mutmaßliche Unterstützer und Helfer der Gruppe, darunter der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Auch die Anklage gegen die vier wurde zugelassen.