Analyse: Schäuble - Bremser oder Realist?
Berlin (dpa) - Ein notorischer Nein-Sager ist Schäuble nicht. Was er aber von den Steuersenkungsplänen hält, lässt er bei jeder Gelegenheit wissen. Wenig. Die FDP reibt sich seit Monaten am Kassenwart.
Das Gegrummel in der schwarz-gelben Koalition dürfte bis Herbst deutlich zunehmen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist immer für eine Überraschung gut: An diesem Mittwoch werden ein Haushaltsentwurf für 2012 und ein Finanzplan bis 2015 von Kassenwart Wolfgang Schäuble (CDU) beschlossen, aus denen keinerlei Spielräume für Steuersenkungen ab 2013 hervorgehen. Im selben Atemzug wird das Kabinett Steuersenkungen auf den Weg bringen, die nach den zuvor gebilligten Etatplänen des Finanzministers eigentlich unmöglich sind.
Schäuble wird das Spiel mitmachen. Als loyaler Politiker wird er sich natürlich der Kabinettsdisziplin unterordnen und allenfalls deutlich machen: Die Erwartungen bitte niedrig halten. Wenn überhaupt Steuersenkungen, dann muss anderswo gespart werden. Der Ball liegt nun bei der FDP. Schäuble scheint nachgegeben zu haben. Preisgegeben hat er jedoch nichts. Auch sein Haus betont: Die Erklärung der Parteichefs sei mit dem Minister abgestimmt gewesen. Mehr nicht.
Widersprüchlich sei das Ganze überhaupt nicht, versuchte die Regierung am Montag ein wenig genervt das jüngste Kapitel in der Endlosgeschichte zu erklären. Schließlich würden die Haushaltspläne ja wie üblich erst Ende November verabschiedet - im Lichte der dann neuen, voraussichtlich noch besseren Steuerschätzerzahlen. Bis dann liege auch ein Gesetzentwurf samt Details für Entlastungen bei Steuern und Sozialbeiträgen vor. Man setzte schließlich nur den schwarz-gelben Koalitionsvertrag um. Punkt. Wo ist das Problem?
Das Problem der Steuersenker heißt Schäuble. Ein notorischer Nein-Sager ist der 68-jährige CDU-Mann nicht. Der Finanzminister tritt seit dem Start der Koalition aber auf die Bremse, wenn es um Steuer-Entlastungen, -Vereinfachungen und -Reformen geht - die Union und FDP vollmundig vereinbart haben. Seit Herbst 2009 ärgert er vor allem die FDP und gibt den Fels in der Brandung. Seine Botschaft: Spielraum für Steuersenkungen gibt es nicht. Die Wirtschaft boome zwar, Vorrang habe aber die Sanierung des Haushalts. Sollten sich Spielräume ergeben, müsse man sehen. Und vor allem: Die strenge Schuldenbremse stehe in der Verfassung, eine Steuersenkung nicht.
An dieser Position hat sich auch mit dem überhasteten Grundsatzbeschluss der Parteispitzen der Koalition nichts geändert. Der Euro-Retter Schäuble muss sich allerdings auch den Vorwurf gefallen lassen, bisher keines der Steuervorhaben ernsthaft angegangen und durchgezogen zu haben. Bis auf einige Vereinfachungen ist der Reformeifer erlahmt. Die groß angekündigte Neuordnung der Gewerbesteuer und Kommunalfinanzen ist gescheitert, die überfällige Reform der Mehrwertsteuer wird immer unwahrscheinlicher.
Schäuble scheut nicht nur den Konflikt mit Ländern und Kommunen. Er will sich auch mit Verbänden, Lobbyisten und Parteikollegen nicht anlegen, die bei einer wirklichen Neuordnung der Mehrwertsteuersätze auf die Barrikaden gehen würden. Bei einer echten Reform würden Mittel für Steuersenkungen frei. Schäuble gab zu verstehen, dass ihm das zwar eine Menge Ärger einbrächte, aber relativ wenig Geld.
In der bis Herbst tobenden Debatte wird sich der Politprofi zurücklehnen und erst einmal von der FDP konkrete Sparvorschläge zur Finanzierung der Entlastungen einfordern. Eine solche „Giftliste“ dürfte dann empört zurückgewiesen werden - nicht von Schäuble selbst, sondern von den Fachpolitikern. Nützt dies nichts, kann das Projekt immer noch mit Hilfe der Länder an die Wand gefahren werden.
Bis zur Steuerschätzung im November aber dürfte es schwieriger werden für die Haushaltssanierer, die Abwehrfront zu halten. Denn inzwischen wird sogar über ein deutsches Konjunkturplus von vier Prozent 2011 gemunkelt. Auch das Steuerplus fällt höher aus.
Die SPD frohlockt: „Wolfgang Schäuble wird langsam, aber sicher zu einer tragischen Figur.“ Erst werde er von Banken und Versicherern hängen gelassen, wenn es um einen substanziellen Beitrag zum neuen Hilfspaket für Athen geht. Und nun werde er überfahren von den Parteichefs. „Wenn Schäuble jetzt in der Steuersenkungsfrage klein beigibt, wird er von einer zentralen Figur in der Koalition zu einer geduldeten Randfigur“, glaubt SPD-Fraktionsvize Joachim Poß.
Schon werden Erinnerungen an Schäubles Vor-Vorgänger Hans Eichel (SPD) wach. Der sah sich als gestaltender Ressortchef, wurde aber bald als „Pfennigfuchser“ abgestempelt. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte sich über die ständigen Sparappelle seines Ministers geärgert und ihn angeraunzt: „Hans, lass mal gut sein.“
Auch das koalitionäre Gegrummel über Schäuble dürfte in den nächsten Wochen wieder anschwellen, ebenso die bei Schwarz-Gelb üblichen Durchstechereien aus Kabinett und Fraktionen. Eine „Lass-mal-gut-sein“-Nummer dürfte ihm kaum widerfahren.