Analyse: Steuersenkungen, Stoff für Sommertheater
Berlin (dpa) - Im Jahr 2013, kurz vor der Bundestagswahl, will die Koalition Steuern senken. Das Volumen lässt sie noch offen. Die FDP ist erleichtert, die Union wirkt beschwert. Vorhang auf für ein Sommertheater.
Einmal im Jahr möchten Politiker lieber nicht die Hauptrolle spielen - wie auch immer das Stück heißt, das im „Sommertheater“ aufgeführt wird. Und so hoffen auch Union und FDP, dass sie nach all den Monaten ihrer Koalitionsturbulenzen nun in Ruhe in die Ferien fahren können. Nach ihrer Lesart haben sie mit der Einigung der Parteichefs auf Steuersenkungen im Bundestagswahljahr 2013 die Voraussetzungen dafür geschaffen.
„Ich bin optimistisch, dass wir das Sommertheater diesmal anderen überlassen werden“, sagt Unionsfraktions-Geschäftsführer Peter Altmaier. Doch das könnte sich als frommer Wunsch erweisen. Denn schon am Tag nach der Verkündung der Pläne, im letzten Jahr dieser Wahlperiode die Sozialbeiträge zu senken und den Arbeitnehmern nach Lohnerhöhungen mehr im Portemonnaie zu lassen, gehen die Rollenspiele weiter.
Die Ministerpräsidenten, darunter auch solche, die der Partei der CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel angehören, halten Steuersenkungen angesichts von Milliarden-Schulden, einer im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse und unberechenbarer Risiken durch den Euro-Rettungsfonds für notleidende EU-Staaten für absurd. So warnt Saar-Regierungschef Peter Müller: „Der Bund kann nicht davon ausgehen, dass die Länder bereit sind, das mitzufinanzieren.“
Sein hessischer Amts- und CDU-Kollege Volker Bouffier nennt das von Merkel und den Vorsitzenden von CSU und FDP, Horst Seehofer und Philipp Rösler, entworfene Papier wenig beeindruckt eine „Absichtserklärung“. Er betont: „Wir haben noch gar nichts beschlossen.“
Rösler wiederum provoziert die Länderchefs mit der Bemerkung, er sei gespannt, wie diese den Menschen erklären wollten, dass sie von der verbesserten Finanzlage des Staates nicht profitieren sollen. Und einen Hieb gegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der vor zu großen Erwartungen warnt, kann sich Rösler auch nicht verkneifen. Schäuble sei offensichtlich mit seinen eigenen Einsparungen nicht zufrieden, stichelt der FDP-Chef.
Stoff für ein schwarz-gelbes Sommertheater gibt es genug. Die Koalitionsspitzen haben keine Summe genannt, mit der sie die Bürger einmal zu entlasten gedenken. Nun kann monatelang über die wahrscheinlichen Milliardenbeträge spekuliert werden. Das Signal aus der Union ist schon jetzt: Es wird sich eher um ein Sümmchen, einen einstelligen Milliardenbetrag, handeln als um den großen Wurf. Weil die nun geweckten Erwartungen aber sehr viel größer seien, befürchtet mancher Unionist schon jetzt, dass auch der Frust beim Koalitionspartner und bei den Bürgern am Ende groß sein wird.
In der Union selbst herrscht Unmut. In ihren Reihen werden Steuersenkungen als Zugeständnis an die FDP verstanden, deren Chef Rösler bei seinem Amtsantritt im Mai versprochen habe zu „liefern“. Dafür müsse sich nun die FDP bei der Vorratsdatenspeicherung bewegen. Unionsfraktionschef Volker Kauder hält nicht hinter dem Berg mit seiner Verärgerung über Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP), die eine verdachtsunabhängige Speicherung von Telefon- und Internetdaten ablehnt.
Rösler winkt ab: Einen Tausch - Steuern gegen Datenspeicherung - werde es mit ihm nicht geben. Die Justizministerin denkt über die SPD als Koalitionspartner nach und die Union hütet es nicht als Geheimnis, dass der Atomausstieg ein Bündnis mit den Grünen möglich machen kann.
Wie neue Bindungen entstehen mögen, können alte Risse bekommen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnt (vor allem für den Wirtschaftsminister wenig schmeichelhaft): „Die Wirtschaft ist in Deutschland im Moment in einer so hervorragenden Verfassung, dass der fahrlässige Schluss gezogen werden könnte: Das geht auch mit zusätzlichen Lasten gerade so weiter.“ Die jüngste Steuersenkungsdebatte sei ohne Not vom Zaun gebrochen worden.
20 Monate Schwarz-Gelb beurteilt BDI-Chef Hans-Peter Keitel so: „Ich glaube nicht, dass wir heute eine Bilanz ziehen können, die uns zufriedenstellt.“ In der zweiten Hälfte müsse die Koalition „noch einiges tun“