Analyse: Unbequeme Wahrheiten für die große Koalition
Berlin (dpa) - Sigmar Gabriel ist ziemlich bedient. Er spricht auf dem Podium des Willy-Brandt-Hauses von innerparteilicher Zerstrittenheit und einem ziellosen Wahlkampf. Der SPD-Chef fordert einen Neuaufbau: „Ein solches Ergebnis ist eine Zäsur.“
Das Dumme nur: Die von ihm am Sonntagabend so gerügte Thüringer SPD muss jetzt erstmal entscheiden, mit wem sie regieren will. Für die Bundes-SPD ist es ein sehr ambivalentes Ergebnis.
Hier Brandenburg, wo man seit 1990 immer den Ministerpräsidenten stellt und wo Dietmar Woidke die Erwartungen am Sonntag erfüllt hat. Er kann wählen zwischen der Fortsetzung von Rot-Rot oder der CDU als neuem Partner. Dort Thüringen, wo Spitzenkandidatin Heike Taubert im Wahlkampf gerne am Grill stand. Aber gegrillt wurde am Ende sie selbst: Schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Thüringen, nur knapp vor der AfD und trotzdem Königsmacher(in) in Erfurt.
Mit wem Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen, sollen die SPD-Mitglieder in Thüringen entscheiden. Eigentlich gehört man mit so einer Abstrafung wohl in die Opposition, aber es gibt keine andere Option. Gabriel hat der Landespartei offiziell freie Hand gegeben.
So mancher im Willy-Brandt-Haus würde mit Blick auf den Bundesrat und die Arbeit in der großen Koalition im Bund eher die erneute Juniorrolle in einem schwarz-roten Bündnis in Erfurt bevorzugen.
27 Mandate hat Schwarz-Rot in der Länderkammer bisher, würden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Koalitionen zwischen CDU und SPD gebildet, hätte man auch in der Länderkammer eine Mehrheit (35 Sitze). Dann könnte man sozusagen „durchregieren“. Das Thüringer Endergebnis könnte ohnehin nur die Option von Schwarz-Rot lassen.
Alle Spekulationen, die SPD könnte Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten einer rot-rot-grünen Regierung machen, wurden in der CDU von Kanzlerin Angela Merkel stets mit Argusaugen verfolgt und missbilligt. Von möglichem Verrat und von einer drohenden Belastung für die Koalition im Bund war die Rede.
Als am Sonntagabend Berechnungen auf den Bildschirmen erschienen, wonach es für den Regierungswechsel nicht reichen könnte, ist der Jubel in der CDU-Zentrale groß - ebenso wie über den Absturz der Thüringer SPD. CDU-Vize Armin Laschet sagt, dass sei die Quittung dafür, dass der Juniorpartner SPD den Anschein erwecken wollte, er könne die CDU mit Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht als stärkste Kraft durch die Linke ersetzen. Bei den hohen Werten der rechtspopulistischen AfD raunt ein „Ooohhh“ durch die Halle.
Gabriel hatte im Vorfeld betont, auch eine Wahl Ramelows zum ersten linken Ministerpräsidenten hätte keine Signalwirkung für den Bund. Durch deren positive Haltung zu Russland und dem Nein zu Waffen für die Kurden im Irak sieht man immer tiefere Gräben zur Linken im Bund - und Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl 2017 als eher theoretische Option. Die jetzige Krisenlage zeige, mit denen sei kein Staat zu machen.
Im Konrad-Adenauer-Haus glaubt manch einer hingegen nicht den Beteuerungen aus der SPD, dass man am liebsten schwarz-rote Bündnisse in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hätte, um dann im Bundesrat eine gestalterische Mehrheit zu haben. Vielmehr glauben Christdemokraten, dass die SPD gern einmal Rot-Rot-Grün testen würde, um das Feld für die Wahl 2017 zu bestellen. Schließlich muss sich die SPD nach jetzigem Stand der Linken öffnen, wenn sie nicht auf Dauer der kleine Partner der Union bleiben will.
Die CDU ihrerseits hat 2013 in Hessen auf Schwarz-Grün gesetzt. Merkel wollte einen Testlauf in einem Flächenland, um die Koalitionsoptionen für 2017 zu verbessern. Die aufstrebende AfD und die atomisierte FDP wirbeln aber vieles durcheinander. Auch Schwarz-Grün werde so unwahrscheinlicher, heißt es in der SPD.
Dass sich die AfD dauerhaft auf Kosten der Union etabliert, schiebt die CDU weit von sich. All jene, die gute Ratschläge gäben, die Union solle auf ihren rechten Rand und konservativen Flügel aufpassen, sollten sich mit ihren eigenen Ergebnissen beschäftigen, rät CDU-Generalsekretär Peter Tauber.
Er glaubt, die Bürger würden erkennen, dass die AfD mit Protest, billigem Werben und DDR-Verherrlichung eine populistische Politik mache. Aber: Auch die Union muss sich die Frage stellen, wie sie es künftig mit der AfD hält. So viele Koalitionsoptionen hat sie ja auch nicht, wie dieser Wahlabend wieder zeigt.