Deutsche Mühen und griechische Luft zum Atmen in Europa

Berlin (dpa) - Es ist ein Tag voller Emotionen im politischen Berlin. Die Rede ist vom Tod eines jungen Abgeordneten und der Leere danach. Von einer mächtigen Regierungschefin mitten im Leben und dem Hass auf einen der ältesten und erfahrensten Bundesminister.

Deutsche Mühen und griechische Luft zum Atmen in Europa
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Vom Zwiespalt in der Union in der Griechenland-Frage und den Zwängen der SPD in der großen Koalition. Von einer Ja-Nein-Logik der Linken und einem heißen Herzen der Grünen. Und von der Angst in Europa vor den Deutschen.

Bevor die Sondersitzung des Bundestags zur Abstimmung über die Aufnahme von Verhandlungen über neue Griechenland-Hilfen am Freitag beginnt, sagen zwei Blumensträuße mehr als die berühmten 1000 Worte. Ein Gebinde aus weißen Lilien liegt auf einem schwarzen Tuch an dem Platz, wo bisher der CDU-Abgeordnete Philipp Mißfelder saß. Tief traurig würdigt Bundestagspräsident Norbert Lammert den mit 35 Jahren völlig überraschend an einer Lungenembolie gestorbenen außergewöhnlich talentierten Politiker: „Er wird uns fehlen.“

Die anderen Blumen sind bunt und fröhlich zusammengesteckt. Es ist ein Strauß des Vizekanzlers Sigmar Gabriel für die Kanzlerin. Angela Merkel ist an diesem 17. Juli 61 Jahre alt geworden. Sie steht im Zenit ihrer Macht. Aber dieser Geburtstag ist ein schwerer Tag für sie. Weil das Leben weitergeht und Politiker schon aus Termingründen nicht lange innehalten können, wird nach der Schweigeminute für Mißfelder ein harter Schnitt gemacht. Griechenland soll vor der Staatspleite gerettet und Europa vor der Spaltung bewahrt werden.

Am Ende bekommt Merkel so viele Nein-Stimmen wie noch nie aus ihrer Fraktion bei einer Abstimmung über die Rettung Griechenlands: 60 CDU- und CSU-Parlamentarier verweigern ihr die Gefolgschaft, 5 enthalten sich, 241 stimmen mit Ja. Insgesamt bekommt die Bundesregierung aber eine klare Mehrheit von 439 Abgeordneten für den Griechenland-Kurs. 631 Sitze hat der Bundestag.

Die Kanzlerin geht als Erste ans Rednerpult und verteidigt vor den extra aus dem Urlaub zurückgekehrten Politikern ihren Kurs vergleichsweise emotional. Sie geht gezielt auf die Zweifel in ihrer Union ein, dass Griechenland es mit einem dritten Hilfspaket schaffen kann. Sie spricht von einem griechischen Scherbenhaufen und harten Bedingungen für das Land und die anderen 18 Euro-Partner.

Sie berichtet, welche drei Möglichkeiten der Euro-Gipfel in der dramatischen Nacht zum vorigen Montag gehabt habe. Erstens: Verbiegung der europäischen Verträge bis hin zu einer Schuldentransfer-Union. Zweitens: Verweigerung eines letzten Rettungsversuchs und Inkaufnahme von Chaos und Gewalt angesichts von Geldnot in Griechenland. Und drittens: Trotz aller Rückschläge die Voraussetzung für neue Finanzhilfen zu schaffen.

Merkel wirbt mit Verve für die dritte Variante. Sie beschwört die Euro-Zone als Schicksalsgemeinschaft, die mit Griechenland zusammenhalten müsse, auch um ganz andere Probleme wie die Aufnahme von Flüchtlingen und die Abwehr von Terror bewältigen zu können. Sie mahnt: „Europa braucht die Fähigkeit zum Kompromiss genauso wie der Mensch die Luft zu atmen.“ Und: „Wir tun es für die Menschen in Griechenland, aber wir tun es genauso für die Menschen in Deutschland.“ Sie dankt ihrem nun so umstrittenen Finanzminister Wolfgang Schäuble für seine konsequente Haltung - die ein zeitweises Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro als Plan B einschloss. Beifall bei der Union. Bei der SPD regt sich fast keine Hand.

Das liegt an dem Zusammenprall Schäubles mit Gabriel, der zwar über die Idee des Plan B (Grexit) Kenntnis gehabt haben will, nicht aber von dem konkreten Papier. Gabriel sieht sich von Schäuble getäuscht, Schäuble fühlt sich von dem SPD-Chef verraten. Lange verschränkt der CDU-Mann vor seinem Gesicht die Händen wie zum Gebet. Er wirkt verbittert. Erst als SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann „trotz aller Differenzen“ sagt, dass es abstoßend und unerträglich sei, wie Schäubles Verhandlungen im Ausland verächtlich gemacht würden, verzieht sich die Miene des 72-Jährigen zu einem leichten Lächeln.

Zuvor warf Linksfraktionschef Gregor Gysi Schäuble vor: „Herr Schäuble, es tut mir leid, aber Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören.“ Schäuble, Merkel und Gabriel betrieben eine unsoziale, undemokratische und antieuropäische Politik. „Sie schaden unserem Land.“ Die Linke verweist auf den internationalen Aufschrei von Politikern, Ökonomen und Medien, unter denen die deutsche Härte Angst und Wut verbreitet. Gysi sagt, an der Stelle eines griechischen Abgeordneten hätte er Ja zu den Reformen gesagt. Im Bundestag sage er Nein, weil er nicht zu den Erpressern gehören wolle.

Gabriel warnt: „Griechenland ist vielleicht noch die kleinste Aufgabe.“ Viel größer sei die Herausforderung, die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Hier herrsche bisher „Totalversagen“ auf dem „Sehnsuchtskontinent“ Europa. Ohne Schäuble direkt zu nennen, mahnt er, nicht mehr vom Grexit zu sprechen. „Die Debatte um den Grexit muss der Vergangenheit angehören.“

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schimpft trotzdem: „Mit Sozialdemokratie hat es nichts zu tun, Griechenland in die Zange zu nehmen.“ Sie ruft: „Europa braucht in diesen Tagen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.“ Schäuble tut das später mit den Worten ab, das heiße Herz hätten alle Beteiligten ohnehin und der kühle Kopf werde gerade eingeschaltet, um mit mehr Wachstum bessere soziale Standards zu schaffen. Er macht deutlich, dass ihn die Verantwortung für Deutschland und Europa umtreibt, und er mit aller Kraft über ein drittes Hilfspaket verhandeln werde. Es sei „ein letzter Versuch“.