„Gute und schlechte Fische“ - Der Papst im Olympiastadion
Berlin (dpa) - Posaunen erschallen, Fahnen wehen, Blitzlichter leuchten auf wie funkelnde Sterne: Als Benedikt XVI. am Donnerstag um 18.02 Uhr im Berliner Olympiastadion einfährt, halten die knapp 61 000 Menschen kurz inne.
Und dann bricht Jubel aus, Geschrei. Das Papamobil bahnt sich den Weg zwischen den 1500 Ministranten, die wie eine rot-weiße Perlenkette den Weg des Papstes auf der blauen Bahn säumen. Der Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki spricht später von einem „Jahrtausendereignis“. Aller Skepsis zum Trotz: Der Papst vermag auch in der deutschen Hauptstadt, die Katholiken zu bewegen.
„Wo Gott ist, da ist Zukunft“: Als ob er zum Leitspruch seines historischen Heimatbesuchs noch ein Bild hinzufügen will, segnet der Papst auf seinem Weg durch das Stadion Babys, die ihm sein Sekretär Georg Gänswein reicht. Wo der Jamaikaner Usain Bolt vor zwei Jahren für 100 Meter knapp 9,5 Sekunden brauchte, legt das weiße Papstgefährt die 400 Meter in etwa 10 Minuten zurück.
Es ist ein langer Weg mit vielen Hindernissen gewesen: Die Missbrauchsfälle, die Austrittswelle, die Debatte um die Rolle der Frauen, um Islam und Ökumene und die Haltung zu Homosexuellen haben den hiesigen Katholiken zugesetzt. Doch in der Berliner Dämmerung, als die Herbstsonne durch das Marathon-Tor leuchtet, ist für einige Minuten die katholische Welt der Deutschen ganz bei sich.
Vor der Messe trägt sich der Papst in Berlins Goldenes Buch ein. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), ein bekennender Schwuler, steht neben dem Schreibtisch. Noch vor einigen Wochen hatte er Verständnis für die Proteste gegen die „Sexualpolitik“ des Vatikans geäußert, jetzt reicht der Katholik Wowereit dem Heiligen Vater die Hand.
Und dann wieder die Stille, die Posaunen. Der Papst schreitet im grün-goldenen Messgewand zum Altar. Es ist eine kurze Strecke vom Lastenaufzug aus den Stadionkatakomben auf die weiße Empore mit dem schwarz-rot-goldenen Logo der Deutschland-Reise.
Wie zuvor im Bundestag zeigt sich der einstige Kardinal Joseph Ratzinger auch vor den Gläubigen nicht als Papst der Herzen, eher als gütiger Gelehrter. Indirekt bezieht er sich auf die Missbrauchsfälle, wehrt aber auch ab. Seine Stimme ist leise. Er spricht von der leidvollen Erfahrung, „dass es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut gibt“. Er warnt aber auch, dass „der Blick auf das Negative fixiert bleibt“ und sich somit der Blick für „das große und schöne Mysterium der Kirche“ nicht mehr erschließe.
Den gebeutelten Katholiken will der Papst Mut machen, sich als Teil des „Weinstocks Kirche“ zu fühlen. Aus allen Himmelsrichtungen sind die Menschen nach Berlin gereist für die erste Begegnung des Papstes mit den deutschen Gläubigen auf seinem Staatsbesuch. Etwa 9000 bleiben aber mit ihrem Ticket zu Hause.
Schon seit drei Uhr nachmittags sind die ersten Menschen da - vereinzelte Pilger, katholische Pfadfinder, Pfarrer aus Polen, Christen aus Korea. In der Ostkurve, wo sonst der harte Kern der Hertha-Fans ihrer Bundesliga-Mannschaft zujubelt, haben sich Bayern eingerichtet. Sie alle erleben eine Messe, in der die Bilder stärker sind als die Worte.