Report: Historischer Besuch in der Heimat
Berlin (dpa) - Es beginnt mit einem heiteren, gelösten Empfang im sonnigen Berlin: „Willkommen zu Hause, Heiliger Vater“, sagt Bundespräsident Christian Wulff. Viel Sympathie schlägt dem Mann aus Rom entgegen, der sich doch so sehr als Deutscher fühlt.
Aber keines der Themen, die seine Landsleute bewegen, spricht er am ersten Tag seines Besuchs an, jedenfalls nicht direkt. Das Wort Missbrauch fällt nicht, kein Signal für geschiedene Katholiken, natürlich nichts zur Euro-Krise und noch nichts zur Ökumene. Protokoll des ersten Tages: ROTER TEPPICH: Um 10.16 Uhr ist es so weit - etwa eine Viertelstunde vor der Zeit. Die Alitalia-Maschine mit dem deutschen Papst an Bord setzt in Berlin-Tegel auf. Freundliches Herbstwetter und die Staats- und Regierungsspitzen empfangen den Papst in der deutschen Hauptstadt. Der Wind zaust seinen weißen Kragen, die Mozetta. Ein bisschen unsicher und zögerlich zunächst, aber sichtlich gut gelaunt beschreitet Papst Benedikt den roten Teppich. Den Bundespräsidenten und die Kanzlerin neben sich, First Lady Bettina Wulff ein paar Schritte dahinter.
Der historische Besuch ist für den Mann aus Bayern auch eine sehr emotionale Reise. Das will der sonst eher nüchtern- wissenschaftliche Pontifex schon auf dem Flug nicht verhehlen. „Ich bin in Deutschland geboren, die Wurzel kann und soll nicht abgeschnitten werden“, sagte er auf dem Weg von Rom nach Berlin.
DER PRÄSIDENT MAHNT: Bundespräsident Christian Wulff findet zur offiziellen Begrüßung im Schloss Bellevue klare Worte. Er spricht die strittigen Themen Missbrauch in der Kirche und die Lage der geschiedenen Katholiken geschickt an. Seine Rede hat mehr Nachrichtenwert als die erste kleine Ansprache des Papstes. Aber der hat ja noch zwei große Auftritte vor sich.
BERLIN BLEIBT BERLIN: Vielen Berlinern ist der hohe Besuch offenbar egal, an vielen Stellen der Stadt ist von der Aufregung um Benedikt nichts zu spüren. Unterdessen steht am Brandenburger Tor, wo weiß-gelbe Vatikan-Fahnen wehen, eine drei Meter große Nonnenfigur. In der einen Hand hält sie ein Kreuz, in der anderen einen Schlagstock, auf ihrer Brust steht „Nie wieder“. Mit dieser Figur wollen frühere Heimkinder auf das Leid aufmerksam machen, das sie in kirchlichen Einrichtungen erdulden mussten. Abgesperrt ist die Straße vor der Vertretung des Vatikans am Südstern. Vor die Fenster haben Anwohner Botschaften gehängt: „scheinheilig“ und „Willkommen im Gottesstaat“ ist zu lesen. Auch die Regenbogenflagge der Homosexuellen hängt dort. Das dürfte Benedikt XVI. nicht entgehen, denn dort in der Nuntiatur übernachtet er.
STATION BUNDESTAG: Irgendwie typisch für das politische Berlin, dass sich am Nachmittag die Öffentlichkeit für kurze Zeit weniger für den Papst und seine Rede im Parlament interessiert, als dafür, wer von den Abgeordneten die Sitzung boykottiert. Ein paar Dutzend fehlen dann tatsächlich. Die große Mehrheit aber, ob katholisch, anderen Glaubens oder konfessionslos, verfolgt mit Respekt und Konzentration die anspruchsvolle Rede des 84-Jährigen auf dem Niveau einer rechtsphilosophischen Vorlesung. Für Heiterkeit und Entspannung sorgt ganz am Anfang ein Versehen des Papstes. Er geht am Rednerpult vorbei und auf den erhöhten Platz des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) zu. Lammert bringt ihn zurück, dann kurzes Innenhalten: Der Papst kann nicht weiter, Lammert steht auf dessen weißem Gewand.
Der als konservativ geltende Papst Benedikt XVI. will bei dieser von so hohen Erwartungen begleiteten und im Vorfeld so umstrittenen Rede ganz offensichtlich nicht provozieren. Doch wer ihm zuhört, erkennt kritische Botschaften an die Politik. Vieles lasse sich durch Abstimmungen entscheiden. „Aber dass in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offenkundig.“
HEIMSPIEL IM STADION: Posaunen erschallen, Fahnen wehen, Blitzlichter leuchten auf wie funkelnde Sterne: Als Benedikt XVI. um 18.02 Uhr im Berliner Olympiastadion einfährt, halten die knapp 61 000 Menschen kurz inne. Und dann bricht Jubel aus, Geschrei. Das Papamobil bahnt sich den Weg zwischen den 1500 Ministranten, die wie eine rot-weiße Perlenkette den Weg des Papstes auf der blauen Bahn säumen.
In seiner Predigt ruft der Papst die Gläubigen dazu auf, trotz Negativschlagzeilen zu ihrer Kirche zu stehen. Auf den Missbrauchskandal geht er wieder nicht direkt ein. Er bittet die Gläubigen, die Kirche nicht zu verlassen, sondern sich gegenseitig zu bestärken. „So ist die Kirche das schönste Geschenk Gottes“, sagte der Papst. Manche finden das enttäuschend.