Krise bremst Wachstum - Koalitionsstreit eskaliert
Brüssel/Berlin (dpa) - Schuldenkrise und weiter keine Lösung: Die EU-Kommission erwartet für die Euro-Zone nahezu einen Stillstand des Wirtschaftswachstums. Über Wege aus dem Dilemma wird in Berlin weiter gestritten.
Die Schuldenkrise bremst das Wachstum in der Euro-Zone nach Einschätzung der EU-Kommission fast vollständig. Die Brüsseler Behörde korrigiert ihre Prognose für das zweite Halbjahr 2011 deutlich nach unten. An einen Rückfall in die Rezession glaubt sie aber nicht. Im Kampf gegen Schuldenmacherei rückt die Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts näher. In der Bundesregierung eskaliert der Streit über eine mögliche Pleite Griechenlands: FDP-Chef Philipp Rösler will sich dem Machtwort von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für mehr Zurückhaltung weiter nicht beugen.
EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn zeichnet ein düsteres Bild für die Euro-Zone. „Der Aufschwung kommt zum Jahresende zum Erliegen“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn bei Vorlage der Konjunkturprognose für das zweite Halbjahr in Brüssel.
Nach monatelangen Debatten einigten sich das Europaparlament und der Vorsitz des EU-Ministerrats auf einen Stabi-Pakt-Kompromiss. Es geht um ein Paket aus sechs Gesetzesvorschlägen („Sixpack“). Über Inhalte wurde zunächst nichts bekannt.
Den Vorschlägen müssen sowohl der Ministerrat wie auch das Parlament noch formal zustimmen. EU-Währungskommissar Olli Rehn sagte, er gehe davon aus, dass das Parlament am 28. September offiziell grünes Licht geben werde.
Mit dem Maßnahmen-Paket soll die Einhaltung der Stabilitätskriterien - Obergrenzen für Haushaltsdefizite und Staatsverschuldung - besser als bisher kontrolliert werden können. Umstritten war bis zuletzt, wie automatisch eine Bestrafung von Defizitsündern erfolgen soll.
Vom morgigen Freitag an beraten die EU-Finanzminister im polnischen Breslau (Wroclaw) über die Euro-Rettung. Wegen des weltweiten Ausmaßes der Krise wird auf Einladung der polnischen Ratspräsidentschaft auch US-Ressortchef Timothy Geithner an dem informellen Treffen teilnehmen.
Für die Euro-Zone mit ihren 17 Mitgliedern droht nach Einschätzung der konjunkturelle Stillstand: Die Kommission senkte die Prognose um insgesamt einen halben Prozentpunkt nach unten. Demnach wird die Wirtschaft im dritten Vierteljahr nur noch um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal zulegen, im vierten Quartal um 0,1 Prozent.
Als Gründe nannte Rehn die schwindende Exportnachfrage, die Staatsschuldenkrise und verwies darauf, dass die Erholung nach Finanzkrisen häufig holprig verlaufe.
Die Schwäche ist auch auf das nachlassende Wachstum in Deutschland zurückzuführen, Konjunkturlokomotive und größte Volkswirtschaft Europas. Die deutsche Wirtschaft wird laut Prognose im vierten Quartal nur noch um 0,2 Prozent zulegen. Für Italien erwarten die Experten das Abrutschen in die Stagnation, für Spanien ein Mini-Wachstum. „Die Aussichten für die europäische Wirtschaft haben sich verschlechtert“, sagte Rehn.
Damit liegt die EU-Kommission auf der Linie führender Wirtschaftsforschungsinstitute, die für Deutschland ihre Vorhersagen zuletzt drastisch nach unten korrigiert hatten.
Um die Wirtschaft zurück auf den Wachstumspfad zu führen, müssten die Staaten ihre Defizite abbauen und den Sparkurs verstärken, um das Vertrauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen.
Der Kommissar ermahnte insbesondere Griechenland, das von einem 110 Milliarden Euro schweren internationalen Hilfspaket profitiert, sich an die vereinbarten Auflagen zu halten. Die Prognose enthält keine Zahlen für Schuldensünder wie Griechenland, Irland oder Portugal. Diese werden erst im November veröffentlicht.
Für das Gesamtjahr sind die Währungshüter optimistisch und ließen ihre Prognose für den Euro-Raum mit 1,6 Prozent unverändert. Doch diese Zahl täuscht, weil sie vor allem auf den guten Start zu Jahresbeginn zurückzuführen ist.
In der Bundesregierung geht der Streit über die Griechenland-Hilfe weiter: Rösler machte deutlich, dass er an seinen Worten zu einer möglichen Insolvenz Griechenlands festhalte.
Merkel verlangte erneut, alles zu unterlassen, was die Zukunft des Euro gefährde. Am Mittwochabend hatte sie in einer gemeinsamen Erklärung mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy versucht, allen Gedankenspielen über einen Austritt Athens aus der Eurozone einen Riegel vorzuschieben.
In der Debatte über mögliche neue Investitionen Chinas in Europa hat Peking überzogene Hoffnungen gedämpft. Der Vizevorsitzende der mächtigen Reform- und Entwicklungskommission (NDRC), Zhang Xiaoqiang, forderte die Europäer beim „Sommer-Davos“ des Weltwirtschaftsforums in der nordostchinesischen Hafenstadt Dalian auf, zunächst ihr Haus in Ordnung zu bringen. „Jedes Land sollte die ihm angemessene Verantwortung erfüllen.“ Er zeigte sich verwundert über Vorstellungen, dass China die Europäer oder die Weltwirtschaft aus der Krise holen könnte.
Am deutschen Aktienmarkt ging die Erholung am Donnerstag zunächst weiter: Positiv aufgenommene Nachrichten aus der Eurozone trieben den Leitindex Dax weiter an. Das Börsenbarometer stieg um 2,17 Prozent auf 5456 Punkte. Am Mittwoch hatte sich der Dax bereits mit einem deutlichen Plus von 3,36 Prozent aus dem Handel verabschiedet. Seit seinem Zwischentief am Montag hat er nunmehr um fast 10 Prozent zugelegt.