Seehofer/Kleber: Das Interview nach dem Interview
Berlin (dpa) - Das Beste zum Schluss: Wenn im Fernsehen die Kameras ausgeschaltet werden, spielen sich ab und zu die interessantesten Geschichten ab. Das ZDF ließ nach Claus Klebers Interview mit Horst Seehofer die Kameras an und brachte die komplette Aufzeichnung im „heute journal“.
Erst lief alles ganz gewöhnlich ab: Er wolle den Erfolg für die Koalition und keinen Ärger machen, betonte CSU-Chef Horst Seehofer zum Ende des Interviews. Aber für den Erfolg müsse sich so einiges ändern. Der routinierte und mit dem üblichen Politiker-Sprech vertraute „heute journal“-Moderator Claus Kleber (56) bedankte sich nach fünf Minuten und 18 Sekunden und fügte an, es habe sich doch „wieder gelohnt“. Für die knapp dreieinhalb Millionen Zuschauer schien das Interview zu Ende.
Was dann aber passierte, sprengte den Fernsehalltag: Denn plötzlich polterte Seehofer im Nachgespräch ungeschminkt los, und Kleber witterte die mediale Wirkung des Geschenks, das ihm der bayerische Politiker servierte. Denn Seehofer redete vor laufender Kamera Tacheles über die Koalition, über die unerledigten Themen in Deutschland und Europa. Aber vor allem empörte er sich über den gescheiterten CDU-Kandidaten in Nordrhein-Westfalen, Norbert Röttgen.
Rund viereinhalb Minuten Politiker-O-Ton, mit viel Wahrheit, Inbrunst und Wortgewalt - das gibt es selten im Fernsehen. „Sie können das alles senden, was ich gesagt habe, weil ich da wirklich entschlossen bin, dass wir da was ändern“, sagte der CSU-Chef zum Abschluss mit einem verschmitzten Lächeln. Von ihm aus könne das ZDF auch eine Sondersendung daraus machen, witzelte er.
Einen Tag später sagte Seehofer in München, der Herr Kleber habe ihn „ein bisserl angestachelt“. „Als ich den Eindruck hatte, er spricht mir den Mut ab, habe ich gesagt: Senden Sie's.“ Es sei ihm nicht um Reaktionen gegangen, sondern um den Erfolg der Union. Die „nicht beabsichtigten Reaktionen“ seien aber alle positiv und zwar in „gigantischer Zahl.“
Beim ZDF war danach wieder etwas Ruhe eingekehrt. Über den Triumph wollte Kleber nicht mehr viel sagen. Nur dies: „Manche Dinge entfalten ihre Wirkung nur, wenn man sie so stehen lässt, wie sie sind“, ließ er übers ZDF mitteilen. „Der vorliegende ist ein solcher Fall.“ Der Sender bat dann noch um „Verständnis, dass Herr Kleber das Gespräch nicht im Nachhinein kommentieren möchte. Das können aber natürlich gerne andere übernehmen.“
Ist der ZDF-Coup nun übertragbar auf andere Sender? Die Konkurrenz von ARD-aktuell („Tagesschau“, „Tagesthemen“) in Hamburg hat darauf eine recht einfache und sportliche Antwort parat: „Wir senden am liebsten live“, teilte Thomas Hinrichs, Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell, auf Anfrage mit. „Da geht so etwas vom Prinzip her nicht. Wir hatten aber auch noch nicht den Fall, dass ein Politiker sagt, dass das Nachgespräch besser ist als das Interview. Glückwunsch an die Kollegen.“
Erst vor kurzem hatte Klebers Kollegin vom „heute journal“, Marietta Slomka (43), beklagt, dass die Randgespräche mit Politikern oft interessanter seien als das eigentliche Fernsehinterview. „Bei diesen Nachgesprächen jedenfalls ist der Politiker plötzlich wieder Mensch. Redet völlig normal, der ganze Duktus, ja selbst die Körperhaltung ist wie ausgewechselt“, sagte sie in ihrer Dankesrede bei der Verleihung des Medienpreises für Sprachkultur Anfang Mai.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ druckte die Slomka-Rede passend zeitgleich zum Kleber-Seehofer-Tête-à-Tête, wenn auch eher zufällig, in kompletter Form am Dienstag. In Deutschland gebe es einen großen Unterschied zwischen privater und öffentlicher Sprache, fuhr Slomka fort. Sie selbst nehme sich da auch nicht aus. „Was mich immer wieder irritiert, ist diese anti-emotionale, selbstdistanzierte und substantivische Gremiensprache“, beklagte Klebers Kollegin, die seit 2001 beim „heute journal“ ist.
Eine kleine Warnung sprach Slomka dann doch noch aus: Wenn Pseudo-Authentizität ins Spiel komme, wenn ein Politiker dem Affen Zucker geben wolle, dann berge dieses Verhalten ein hohes Gefahrenpotenzial - so zum Beispiel, als SPD-Politiker Sigmar Gabriel 2010 den Truppenbesuch des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit Gattin in Afghanistan so kommentierte: „Ich finde, da fehlt nur noch Daniela Katzenberger. Dann hätten auch die Soldaten etwas davon“.