Frischkäse-Test statt Wirtschaftsthemen
Warum die globale Finanzkrise die Fernsehmacher kalt erwischt hat.
Köln. Das ZDF-Magazin "Wiso", das gerade 25 Jahre alt wurde, liebt es volksnah. Es gibt Publikum im Studio, jede Menge Tests und Verbraucher-Tipps, einen von Manfred Lehmann (der Synchronstimme von Bruce Willis) gespielten Detektiv in "Wiso ermittelt", und manchmal darf ein Zuschauer sein defektes Auto vorfahren, um ihn in der "Wiso-Werkstatt" reparieren zu lassen.
Reparaturbedarf gibt es auch sonst genug, aber sage niemand, die Folgen der globalen Wirtschaftskrise gingen an "Wiso" vorbei. Opel war zuletzt ein Dauerthema, doch in der letzten Sendung am vergangenen Montag seufzte Moderator Michael Opoczynski: "Manchmal bin ich froh, wenn ich mich von der weltumspannenden Krise ab- und den kleinen Dingen zuwenden kann." Es folgte der Test: "Welcher Frischkäse schmeckt am besten?" Die "Wiso"-Redaktion hatte eine Jury in ein Hotel geladen und ihnen blaue "Wiso"-Lätzchen umgebunden. Durchs Sortiment futterten sich unter anderem der ehemalige Skisprung-Star Sven Hannawald und Maike Bollow, Schauspielerin in der neuen ZDF-Telenovela "Alisa - Folge deinem Herzen". Ein bisschen Käse-Eigenwerbung zwischen Käsehäppchen, das passte.
Nichts gegen die sorgsam gepflegte Verbrauchernähe bei "Wiso" und anderen Wirtschaftsmagazinen, doch der Absturz der Finanzmärkte erwischte das öffentlich-rechtliche Fernsehen kalt. Von den Privatsendern ganz zu schweigen. Gerne schaltet man täglich live an die Börse, wo man jahrelang auf das nun etwas in Misskredit geratene Völkchen der Analysten lauschte. Doch es gab herzlich wenige Versuche, dem gebührenzahlenden Zuschauer Details und Zusammenhänge der Krise gründlich zu erklären.
Das Fernsehen hat es ja auch nicht leicht: Der Fluss des Kapitals, die aberwitzigen Anlage-Konstruktionen der Investmentbanker - das ist schon in einer Zeitung schwer zu erläutern. Ein Medium, das von Bildern lebt, stößt bei soviel Komplexität an seine Grenzen. Für den diesjährigen Grimme-Preis wurden in der Kategorie Information und Kultur weit über 300 Programme gesichtet. Die Kommission fand hervorragende Dokumentationen über Finanzkrise und Globalisierung - aber beinahe nichts, was dem Publikum vor 23 Uhr angeboten worden wäre.
Seitdem das Privatfernsehen ARD und ZDF kräftig Konkurrenz macht, hat im Ersten und Zweiten zur Hauptsendezeit aus Angst vor einer niedrigen Einschaltquote vor allem eines an Boden verloren: anspruchsvolles Dokumentarfernsehen, auch zeitkritische, aktuelle Reportagen. Schwierige Themen gelten als Quotenkiller, Wirtschaftsfragen sind allenfalls willkommen, solange sie verbrauchernah sind.
Dass der "Brennpunkt" im Ersten auf Sparflamme gehalten wird und seit dem Zusammenbruch der Lehman-Bank im September 2008 nur zwei Sondersendungen zur Finanzkrise angeboten wurden, hat auch damit zu tun, dass ein Abweichen vom Programmschema als schädlich für die Quoten gilt. "Ich räume ein, wir tun uns mit spontanen Geschichten schwer, da müssen wir flexibler werden", sagte der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust, Intendant des Südwestrundfunks, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. So wird über die Wirtschaftskrise in zahllosen Talkshows bis zur Besinnungslosigkeit debattiert, doch für Grimmepreis-nominierte Filme wie "Der große Rausch" über einen Londoner Investmentbanker oder die "story"-Reportage "Und plötzlich ist das Haus weg" über Sparkassen, die keineswegs faule Immobilienkredite an Hedgefonds verkauften, mussten sich die meisten ARD-Zuschauer einen Wecker stellen. Die Zeiten, in denen man sich auf Börsen-Barometer und Käse-Tests beschränken könnte, sind jedoch längst vorbei.