So billig war Geld noch nie
Die EZB senkt den Leitzins auf 1,5Prozent. Die Sorgen über langfristige Inflationsrisiken wachsen.
Brüssel. Banken konnten sich noch nie so preiswert bei der Europäischen Zentralbank mit Geld versorgen, um ihren Kunden Kredite zu gewähren. Denn Europas oberste Währungsmanager haben den Leitzins um einen halben Prozentpunkt auf 1,5 Prozent gesenkt - das ist historischer Tiefstand. Sie reagieren darauf, dass die Konjunktur stärker einbricht als bisher gedacht. Die Notenbank rechnet damit, dass Europas Wirtschaft in diesem Jahr um bis zu 3,2 Prozent schrumpft und im nächsten Jahr stagniert.
Seit Herbst hat die Euro-Notenbank den wichtigsten Ausleihsatz zügig heruntergefahren. Immerhin liegt er heute fast drei Punkte tiefer als noch im Oktober - aus Sicht von Zentralbankern sind das Welten. Andererseits ist die Euro-Notenbank damit zaghafter als die US-Fed und die Bank of England, die ihre Leitzinsen auf fast null gesenkt haben. Briten und Amerikaner steigen nun auf unorthodoxe Mittel wie den Ankauf von Wertpapieren um, nur um noch mehr Geld in die Wirtschaft zu pumpen - und damit zu verhindern, dass es den Firmen am Schmiermittel für ihre Geschäfte und Investitionen fehlt.
Einiges spricht dafür, dass auch die Europäische Zentralbank den Leitzins noch stärker senken wird. Notenbankchef Jean-Claude Trichet betont, er schließe nichts aus. Die Wetten lauten auf einen erneuten Schritt um einen halben Punkt. Kurzfristig gibt es dafür Spielraum. Vorerst ist es nämlich nicht nötig, die Teuerung mit hohen Zinsen in Schach zu halten. "In den USA wird die Inflationsrate nächsten Monat unter null fallen, zumal die Arbeitslosigkeit stark steigt und der Lohndruck nachlässt", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. In Europa sei ebenfalls bald mit sinkenden Verbraucherpreisen zu rechnen.
Dass trotzdem gerade jetzt die Sorgen vor einer Inflation wachsen, mag widersinnig klingen - ist es aber nicht. Denn auch wenn es erst einmal darum geht, eine Verkrampfung des Wirtschaftslebens in Form von Rezession und Deflation zu verhindern, dürften - langfristig - die Preise rasant anziehen, sobald die Wirtschaft wieder Tritt fasst. Wegen der außergewöhnlich lockeren Geld- und Finanzpolitik, die derzeit durch die Krise erzwungen wird, halten Ökonomen in der anschließenden Erholungsphase Inflationsraten von fünf Prozent für möglich.