Elektroräder mit Ladebox sind mehr als eine Familienkutsche

Berlin (dpa) - Wenn der Schornsteinfeger mit dem Rad kommt, ist das kein Schwarz-Weiß-Film aus den 20er Jahren. Seit es Lastenräder mit Elektromotor gibt, werden sie für das Wirtschaftsleben interessanter.

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Drei Kisten Bier, zwei Kinder oder ein Kühlschrank: Lastenräder sind in den Szenebezirken deutscher Großstädte zum Hingucker geworden. Als Familienkutschen mit Öko-Chic bieten sie Alternativen zum Zweitwagen. Noch eher im Windschatten dieses Trends rollen neue Lastenräder durch das Wirtschaftsleben der Innenstädte. Dort haben die traditionellen gelben Posträder illustre Gesellschaft mit Elektroantrieb und großen Transportboxen bekommen - für längere Strecken, mehr Gewicht und auch mal einen Hügel. Kurierdienste nutzen solche Lastenräder bereits zur Auslieferung von Waren, auch mitten im Winter. Umweltforscher sehen einen noch größeren Markt.

„Ich ersetze ein Auto“ - seit fast zwei Jahren rollen 40 imposante Elektro-Lastenräder mit diesem Schriftzug durch acht deutsche Städte, darunter Berlin, Hamburg, Leipzig und München. Das Institut für Verkehrsforschung hat sie für eine wissenschaftliche Studie an Kurier-Unternehmen ausgeliehen. Zu den Fragen gehört unter anderem, wie viele Autokilometer sie ersetzen können. Schon jetzt will keine der Firmen die Räder wieder hergeben. Ein Leben ohne sie könnten sich die Unternehmen nicht vorstellen, sagt Projektleiter Johannes Gruber.

Ein bisschen Strom statt hoher Spritkosten, keine Parkplatzsorgen, ohne Stau in die Innenstadt und auch problemlos in jede Fußgängerzone: Lastenräder haben ihr Image „19. Jahrhundert“ oder „Dritte Welt“ abgelegt, glaubt auch Arne Behrensen vom Verkehrsclub Deutschland. Für Europas Städte gebe es Kalkulationen, dass Lastenräder mit einem Radius von sieben Kilometern, 250 Kilogramm Ladegewicht und einem Kubikmeter Ladevolumen die Hälfte aller Transportfahrten mit dem Auto ersetzen könnten.

„Ob das im Einzelfall praktikabel ist, muss man prüfen“, ergänzt Behrensen. Es gebe in Deutschland aber bereits Schornsteinfeger, Gärtner und Raumausstatter, die mit dem Lastenrad unterwegs seien. Warum nicht auch mobile Pflegedienste? Die Vielfalt der Modelle ist inzwischen zumindest beachtlich: je nach Hersteller zwei oder drei Räder, Box vorn, Box hinten, Box in der Mitte. Es gibt mehr raffinierte Technik und mehr Fahrspaß als früher. Auch das lockt.

Das Handwerk sei neugieriger geworden, bestätigt Forscher Johannes Gruber. Denn oft müssten bei Kundenbesuchen in den Innenstädten keine schweren Geräte, sondern nur Werkzeugkoffer transportiert werden. Die Motive der Pioniere sind unterschiedlich: Einsparpotenziale, Ökologie, Imagepflege. Es gibt wohl nur eine wirkliche Voraussetzung: Die Firmen und Mitarbeiter müssen es wollen - bei Wind und Wetter.

„Nicht das Rad hat sich verändert, sondern die Gesellschaft“, sagt Fahrrad-Fachbuchautor Gunnar Fehlau. Da seien Dogmen aufgeweicht, die eine neue städtische Lebenskultur beförderten. „Nicht nur Nerds und Freaks fragen heute nach einem Dienstrad statt einem Dienstauto.“

Der Verkehrsclub Deutschland ist vom Potenzial der Lastenräder überzeugt. Besonders für Großstädte, die bei hoher Verkehrsbelastung immer strengere Auflagen für Kohlendioxid- oder Feinstaubwerte erfüllen müssen, sei das eine interessante Option.

Die Kommunen sind dabei: Im Januar startete die Stadt München mit der Industrie- und Handelskammer einen Pilotversuch. Sie unterstützt Unternehmen finanziell bei der Anschaffung von Lastenrädern. Im Berliner Stadtteil Kreuzberg gründet sich gerade eine Transportgenossenschaft, die nur auf E-Lastenräder setzen will. Lokale Gewerbetreibende lockt sie mit dem Slogan: Spart euch den Lieferwagen.

Beim Zweirad-Industrie-Verband geht der Enthusiasmus nicht so weit. Bei rund vier Millionen verkauften Rädern pro Jahr fristen Lastenräder ein Dasein im Nischensegment - zwischen Tandems und Liegerädern. „Da einen Riesenmarkt zu sehen, halte ich für gewagt“, sagt eine Sprecherin. „Aber der Markt ist immer für Überraschungen gut.“

Dabei geht es auch um den Preis. Ein E-Lastenrad kostet bis zu 5000 Euro. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) sieht solche Modelle nicht als Familienkutsche. „Wer fährt schon täglich eine Waschmaschine durch die Gegend?“, fragt Roland Huhn, Leiter Verkehr und Technik. Für Gewerbe und die kommerzielle Nutzung seien 5000 Euro dagegen kein Problem. „Da wird der Preis zum Auto gegengerechnet - inklusive Zeitfaktor“, sagt er. Dass diese Rechnung aufgehen könne, zeige der rege Lastenradverkehr in Amsterdam oder Kopenhagen.

Der deutsche Bundesverband Internationaler Express- und Kurierunternehmen hat das Lastenrad für die Innenstadtlogistik auch schon im Visier - zum Beispiel für Pakete bis zu 30 Kilogramm. Das kommt den Bedürfnissen vieler Kunden entgegen, die wegen hoher Mieten oft kleine Läden ohne Lager haben - und mehr Lieferungen brauchen.

Oft ist es kleinteilige Ware, die zu den vielen Internet-Bestellungen von Privatkunden dazukommt. Voraussetzungen für den Einsatz von Rädern in der Innenstadt seien aber Zwischenlager für die Verteilung, in Tiefgaragen oder speziellen Containern, heißt es beim Verband. Die Politik will es nun ganz genau wissen. Das Bundesverkehrsministerium schrieb Ende 2013 eine zweijährige „Untersuchung des Einsatzes von Fahrrädern im Wirtschaftsverkehr“ aus.