Judith Kuckart: „In ein Buch liest man sich immer selbst hinein“

Die Autorin stellte im Literaturhaus ihren neuen Roman „Kein Sturm, nur Wetter“ vor.

Judith Kuckart war zu Gast im Literaturhaus.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Am Dienstagabend eröffnete das Literaturhaus Wuppertal seine Herbst- und Wintersaison mit einer Lesung der Autorin Judith Kuckart, die ihren neuen Roman „Kein Sturm, nur Wetter“ mitbrachte.

Das Literaturhaus Wuppertal ist ein Begegnungsort für Literatur, Musik und Dialog und befindet sich seit 2000 in den Räumen der historischen Haspelhäuser an der Friedrich-Engels-Allee 83. Der Verein, der 2005 aus dem Else Lasker-Schüler-Haus entstand, hat es sich, frei nach Else Lasker-Schüler, zum Ziel gemacht, für die Dichtung zu kämpfen. Judith Kuckart, die eine alte Bekannte im Literaturhaus ist und ihre Magisterarbeit über Else Lasker-Schüler schrieb, las dort aus ihrem neuen Buch vor und stellte sich den Fragen des interessierten Publikums.

Der Roman handelt von einer einsamen Hirnforscherin

Ihr 224 Seiten starker Roman, der diesen Sommer im Handel erschien, handelt von einer 53-jährigen, einsamen und unterforderten Hirnforscherin, die sich an ihre Vergangenheit und ihre Beziehungen erinnert. Dabei spielen Zahlen eine große Rolle. „Sie, promovierte Medizinerin ohne angemessene Anstellung, war sechsunddreißig, seit achtzehn Jahren in Berlin und seit dreien von Viktor getrennt. Zahlen erzählen Geschichten. Auch ihre.“

Vor allem die Zahl 36 kommt immer wieder vor, denn im Roman sind alle Männer, die Stationen ihrer Geschichte sind, genau 36 Jahre alt. Ein Detail, das nicht erklärt wird. So offen ist auch der Schreibstil Kuckarts angelegt, der vieles unerklärt lässt und dem Leser Interpretationsspielraum bietet.

„In ein Buch liest man sich immer selbst hinein“, meint die Autorin und möchte dem Leser viel Platz für eigene Ideen und Erinnerungen lassen. Ihre Sprache ist auf eine distanzierte Weise sehr poetisch und die präzisen Beschreibungen bringen jedes Detail auf den Punkt. Einzelne Sätze wirken dabei wie Kunstwerke und lassen wunderschöne Kopfbilder entstehen.

Mehrere
Erzählzeiten

Der Roman verfügt über mehrere Erzählzeiten. Der aktuelle Handlungsstrang, der eine Woche umschreibt, beginnt und endet am Flughafen Tegel. Hier trifft die Neurologin Robert Sturm, 36 Jahre alt.

Dazwischen fügen sich „Erzählsonden“ in die Erzählung ein, Erinnerungsfetzen, die anhand von Männerbekanntschaften das Leben der Hirnforscherin aufrollen. Mit den Erinnerungen ihrer Heldin möchte Kuckart auch gleichzeitig die deutsche Geschichte illustrieren, was ihr auf amüsante Weise gelingt.

Die Protagonistin selbst bleibt ohne Namen und bietet sich somit als Projektionsfläche für den Leser an. Die Namenlose ist auf der Suche nach ihrem Schicksal und einem Leben in Zweisamkeit. Dabei sei gerade das Weglassen eines Namens eine „Herausforderung beim Schreiben“ gewesen, meint Kuckart.

Die 1959 in Schwelm geborene Judith Kuckart lebt in Berlin und Zürich. Die erfolgreiche Autorin, Regisseurin und ausgebildete Tänzerin wurde bereits mehrfach mit Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet.

Im DuMont Verlag veröffentlichte sie neben ihrem neuesten Werk „Kein Sturm, nur Wetter unter anderem die Romane Die Autorenwitwe (2003), Kaiserstraße (2006), Die Verdächtige (2008), Wünsche (2013), Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück (2015) und Lenas Liebe (2012), der bereits verfilmt wurde.“