Amélie Niermeyer und ihr Iwanow: Es ist ja doch alles nur Spiel

Amélie Niermeyer inszeniert am Kleinen Haus einen „Iwanow“ ganz ohne rührende Lächerlichkeit.

Düsseldorf. Mehrmals kommt Götz Schulte hinter dem grünen Vorhang hervor, der die Bühne des Kleinen Hauses teilweise verdeckt, und setzt an - zu einer Erklärung? Einer Begrüßung? Aber immer kommt etwas dazwischen, ein Handy klingelt im Zuschauerraum, Cornelius Borgolte schlägt am Flügel Chopin an, und Schulte zieht sich wieder zurück. Dieser Antiheld gibt schnell auf, das stellt Intendantin Amélie Niermeyer in ihrer Inszenierung von Anton Tschechows erstem Theaterstück schon in diesem Vorspiel klar. Mit hängenden Schultern und melancholischem Hundeblick wirbt Götz Schultes Iwanow um Verständnis für seinen Zustand.

Dabei kann sich Iwanow selbst nicht mehr verstehen. Erst vierzig Jahre ist er alt, aber so müde, dass er kein Problem mehr anpacken mag, geschweige denn lösen kann. Er ist verschuldet, liebt seine todkranke Frau nicht mehr, kann sich nicht mehr für die Ideale von einst erwärmen. Borkin, der Verwalter seines maroden Gutes, sieht das ganz simpel: Iwanow habe halt auf das Geld der Judentochter spekuliert, aber nachdem die Eltern mit ihr gebrochen haben, weil sie Christin wurde, könne er sie nicht mehr brauchen. Herrlich trocken bringt Markus Scheumann die Dinge auf den Punkt, sein Borkin ist kein fieser Gauner, sondern ein Mensch, der vernünftig ökonomisch denkt - und somit direkt unserem kaputten Zeitgeist entsprungen sein könnte.

Der Korruption wenig abgeneigt ist auch Graf Schabelski, von Matthias Leja genüsslich als weinerlicher Alkoholiker dargestellt: Wenn alle Dreck am Stecken haben, warum sollte er als einziger den Saubermann spielen? Also heiratet er halt die reiche Witwe Babakina, die - so wie Claudia Hübbecker sie karikiert - jeden Mann nehmen würde. Michael Abendroth gibt den Bürokraten Lebedew als wunderbaren Pantoffelhelden.

Gabriele Köstler als seine Ehefrau dagegen hält adrett und eisern das Geld zusammen. Ihren Gästen bietet sie nur Tee an, und fortwährend knipst sie im Salon die Stehlampen aus, um Strom zu sparen. Kein Wunder, an den Abenden bei Lebedews kommt keine Stimmung auf, man badet in russischer Langeweile. Am besten scheint sich noch der Spieler Kossych (Markus Danzeisen) mit seinem Laptop zu amüsieren. In dieser maroden Gesellschaft steht der Arzt und Moralist Lwow wie ein Fels in der Brandung, Felix Klare zeigt ihn stimmig als ehrlich-einfaches Gemüt.

Es gibt viele komische Momente an diesem Abend, der dennoch als Ganzes nicht recht überzeugt. Tschechows Gratwanderung in der Menschenzeichnung mag in diesem Erstling noch nicht ausgreift sein, dennoch nimmt der Autor seine Figuren in ihrer rührenden Lächerlichkeit wie in ihrer Tragik sehr ernst.

Götz Schulte kämpft sich in der Titelrolle durch den Abend. Er macht zwar Iwanows Selbstmitleid ebenso sichtbar wie das ehrliche Leid an seinem ungewollten Zynismus, aber es gelingt ihm nicht, uns wirklich zu erreichen. Ist ja alles bloß Spiel. Wenn vor der geplanten Doppelhochzeit alle in heulendes Elend versinken, ist das eine komische Nummer. Und wenn Iwanow sich zum Schluss die Kugel gibt, war es vielleicht auch nur russisches Roulette.

2 ¼ Std. o. Pause, 27.2., 19.,20.,26.3., Karten: 0211/369911