Ballett in Düsseldorf: Giselle - Lazarett der versehrten Seelen

Youri Vàmos choreografiert „Giselle“ an der Deutschen Oper am Rhein: Der erste Akt schwächelt, der zweite überzeugt.

Duisburg. Das deutsche Winzermädchen Giselle tanzte sich erstmals vor 166 Jahren aus unglücklicher Liebe zu Tode. Seitdem hat es manchen Ortswechsel erlebt - bis hin zu Mats Eks berühmter Neufassung in der Irrenanstalt (1982). Diese Spielzeit begeistert die Titelheldin u.a. als Marguerite Donlons fahrende Irin in Saarbrücken. In Köln tanzt sie bei Amanda Miller als esoterisches Wesen durch eine Art Zen-Garten. Da ist die Idee des Düsseldorf-Duisburger Ballettchefs Youri Vàmos lohnender, die Geschichte in Frankreich zur Zeit des Ersten Weltkriegs anzusiedeln.

Bei der Premiere im Duisburger Haus endet das Werk im Lazarett. Vor einer Kriegskulisse aus kahlen Bäumen und Kanonen poussiert Giselle, Tochter einer Gastwirtin, mit Oberleutnant Albrecht, der sie inkognito und in Zivil besucht. Waldarbeiter Hilarion tobt vor Eifersucht. Das Dorf feiert ausgelassen die Verlobung von Moyna und Philipe, in die eine Offiziersgesellschaft mit Albrechts Braut gerät. Hilarion (Filip Veverka als Feuerkopf) durchwühlt Albrechts Rucksack und kann den Widersacher enttarnen.

Eigentlich alles wie gehabt. Auch wenn für Youri Vàmos "der sozialkritische Anklang keine Bedeutung hat" und es ihm nur um das zeitlose Thema des gebrochenen Liebesschwurs geht, so stolziert die Offiziersgesellschaft doch samt Bathilde mit deutlichem Standesdünkel an Giselle vorbei. Albrechts Verlobte schenkt ihr - im Originallibretto ist es die Kette - großmütig einen Hut.

Choreografisch hat sich der Erste Akt allerdings deutlich verändert. Vàmos lässt sich von Jean Coralli und Jules Perrot inspirieren, was zu einem unharmonischen Stilmix aus klassischen Elementen des Pariser Originals und Vàmos’ eckigem, gestenreichen Tanzidiom führt. Kaori Morito (Giselle) und Andrea Kramesova (Dorfmädchen Moyna) müssen mit Mund und Augen "Ohs" und "Ahs" wie im Stummfilm formen. Und das weibliche Ensemble strampelt bei den Hebefiguren der Dorftänze mit den Beinen in der Luft als wäre schon Karneval.

Ganz anders ein überragender zweiter Akt. Schwer verwundet, treffen sich Albrecht, Hilarion und Philipe in einem ehemaligen Ballsaal wieder, der als Lazarett dient. Macht nichts, dass das Zusammentreffen nicht gerade glaubhaft ist und der Sanitäter eine Metzgerschürze trägt. Denn was jetzt folgt, umhüllt ein betörender, wehmütiger Zauber. Das Lazarett ist eine schöne Metapher für die versehrten Seelen, die in eine andere Welt weggleiten. Die blutenden Widersacher umkreisen sich spiegelbildlich im visionären Pas de deux, mit dem Rücken zu einander.

In Albrechts Fiebertraum dann wird die Szene endgültig surreal, der Saal kippt zur Seite, und ihm erscheinen Ebenbilder seiner Geliebten, die in herrlich fließender Coralli/Perrot-Technik dahinschweben, eingetaucht in marodes Grünlicht. Albrecht und Giselle nähern einander in einem hinreißenden, verhaltenen Duett.

Handlung Erzählt wird die Geschichte des einfachen Bauernmädchens Giselle, das sich in Albrecht verliebt, unwissend, dass er ein Prinz und bereits verlobt ist, und das später an dessen Liebesverrat zerbricht.

"Giselle" gilt als Inbegriff des romantischen Balletts französischer Prägung.