Schauspiel in Köln: Diktatur der Trauer
Neuenfels inszeniert ’ „Bernarda Albas Haus“.
Köln. Unnahbar und diszipliniert wie ein Offizier verordnet Elisabeth Trissenaar als frisch verwitwetete Bernarda Alba acht Jahre Trauer: "Wie hinter vermauerten Fenstern und Türen werden wir leben." Dann reißt sie Kissen und Matratze von der nun leeren Hälfte des Ehebetts, greift zur Axt und hackt das Gestell zu Kleinholz. Eingeschüchtert schauen ihre fünf Töchter und die zwei Mägde zu.
Je länger Bernarda Albas Diktatur der Trauer anhält, desto fanatischer ergibt sie sich dem Ersatz-Mann: Jesus. Sie küsst ihm die Füße, nimmt das Kreuz auf ihre Schultern, legt den Gekreuzigten schließlich auf den Seziertisch und zerlegt ihn in einzelne Teile. Die hängt sie an die Wand, die Dornenkrone setzt sie sich selbst auf.
Göttliche Köpfe lässt er diesmal nicht rollen, der Regisseur Hans Neuenfels, der mit seiner "Idomeneo"-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin die Gemüter erhitzte. Tief gläubige, gar fanatische Christen könnte er indes sehr wohl provozieren, denn dem Fanatismus gilt die Kritik dieser Aufführung von Federico García Lorcas letztem Drama. Wie ein religiöser Führer geriert sich Elisabeth Trissenaars Bernarda Alba. Die Frauen in ihrem Haus ducken sich unter ihrer Fuchtel und werden vor unterdrückter Lust und Rebellion in immer exaltiertere Zustände getrieben.
Schon die Bühne von Christoph Hetzer gemahnt mit seinen metallisch glitzernden Wänden an ein Gefängnis. Zwar lassen sie sich bewegen, aber stets nur im Kreis herum. Der Abend erschöpft sich indes nicht in Trostlosigkeit. Neuenfels treibt die Darsteller in satirische Überspitzung hinein, die auch für komische Momente sorgt. Der Standesdünkel der Großgrundbesitzer wird ebenso verhöhnt wie ihre religiöse Heuchelei. Hochdramatische Szenen kippen um in Klamauk, der wiederum in leise Poesie münden kann. Nur selten wirken Bilder zu opernhaft, Effekte zu vordergründig. Das Kölner Frauenensemble meistert die Gratwanderung von Tragik und ätzender Ironie bravourös und wird vom Star Trissenaar keineswegs in den Schatten gestellt.
Sandra Fehmer, Dagmar Sachse, Agnes Mann, Oda Pretzschner und Anja Laïs zeigen, jede auf ihre Art, eindrücklich die Zerrissenheit zwischen Aufbegehren und Verzweiflung. Sehr berührend ist auch der Ausbruchsversuch von Bernarda Albas Mutter: Wie ein trauriger Clown tappt Therese Dürrenberger im Nachthemd über die Bühne, ein weißes Kissen als Schäfchen-Kind an die Brust gedrückt, getrieben von der Sehnsucht zum Meer, zur Freiheit.
Jubelnder Applaus für einen fesselnden Abend im derzeit von Erfolg nicht gerade verwöhnten Kölner Schauspiel.