Der Zustand der Welt auf dem Seziertisch

Schauspiel: Burghart Klaußner inszeniert „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ mit Otto Sander.

Bochum. Sie kommen vor allem wegen ihm: Otto Sander. Lange stand er nicht mehr auf der Bühne des Bochumer Schauspielhauses. Nun begrüßt das Publikum der stets ausverkauften Vorstellungen von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" das Berliner Theaterurgestein mit Applaus gleich beim ersten Auftritt, was man sonst eher von den Stars des Boulevardtheaters kennt.

Und Otto Sander zeigt es allen. Als blinder Vater der zickigen Operndiva spricht er zwar wenig, aber demonstriert, wie viel man mit wie wenig erreichen kann. Eine gehobene Augenbraue hier, ein leichtes Stirnrunzeln da, ein "Hehehe" als Kommentar zu "Mit der Gutmütigkeit ist nichts mehr auszurichten" des Doktors, der ansonsten den blinden Säufer gnadenlos zusalbadert.

Vater und Arzt sitzen in der Garderobe der Tochter. Sie ist über die Jahre zu einer herzlosen "Koloraturmaschine" verkommen, die an diesem Abend die "Königin der Nacht" bereits um 222. Mal schmettert.

Thomas Bernhards teils etwas spröde Welthass-Tiraden sind (wieder) gewöhnungsbedürftig. Etwa wenn der Arzt, den Marc Oliver Schulze souverän Otto Sander entgegenstellt, in kleinsten Details das Sezieren einer Leiche schildert und damit zugleich den Zustand der Welt obduziert. Die Medizin habe nichts mit dem Menschen zu tun, diagnostiziert er zynisch.

Schauspieler Burghart Klaußner hat in seiner dritten Regiearbeit Thomas Bernhards Stück alle Monstrosität und überhöhte Stilisierung ausgetrieben. Er holt das Spiel runter auf eine realistische Ebene, lotet den Text fast nüchtern aus, nimmt ihm aber auch etwas die Schärfe des grandiosen österreichischen Grantlers Bernhard.

Am Ende herrscht keine komplette Dunkelheit, wie im Stück vorgesehen. Die Notbeleuchtung im Saal ist trotzdem ausgeschaltet, eine ironische Anspielung auf den Eklat, der bei der Uraufführung durch Claus Peymann 1972 bei den Salzburger Festspielen für einen handfesten Streit sorgte.