Ballett: Zwischen Ehrenmord und Religionskrieg

„Die Jüdin von Toledo“ ist Youri Vàmos’ letzte Uraufführung für die Rheinoper.

<strong>Düsseldorf. Schlaff hängt König Alfonso VIII. von Kastilien im Sessel. Zu seinen Füßen ruht Rahel. Sie sind erschöpft - sieben Jahre Liebesspiel fordern ihren Tribut. Königin Eleonore, von Eifersucht zuckend, beobachtet das Paar auf der Empore. Wir sind im Kino - Ballett im Ballett. Wenn die Leinwand sich hebt und die Empore freigibt, sieht das Personal von Youri Vàmos’ "La Fermosa - Die Jüdin von Toledo" das Tanzstück "Die Jüdin von Toledo". Als das Christenvolk im Saal die Rampe stürmt und den König drängt, seinen Pflichten nachzukommen - es will den heiligen Krieg - flirrt alles heillos durcheinander: Figuren, Ort und Zeit. Bei der Uraufführung im Opernhaus glaubte man sich die meiste Zeit im falschen Film. Dabei könnte alles so schön sein. Die spanische Volkslegende birgt reichlich Stoff, um die aktuelle Brisanz religiöser Konflikte aufzuzeigen. Und Pet Halmen hat dem Düsseldorf-Duisburger Ballettchef eine geradezu opernhafte Bühne gebaut: Ein sakraler Bau mit maurischen Ornamenten als Kinosaal, dessen Stuhlreihen weggezogen werden können, um die Tanzfläche frei zu geben. Hinter der Leinwand eine Empore als weitere Bühne, die eine zweite Spielebene ermöglicht. Nur, dass es mit zwei Ebenen nicht getan ist. Bei seiner letzten Kreation für die Deutsche Oper am Rhein vermengt Youri Vàmos so viele Themen, dass einem schwindelig werden kann: Religionskriege, Unterdrückung der Frau, Militärregimes, aktuelle Ehrenmorde.

"La Fermosa - Die Jüdin von Toledo", inspiriert von Lion Feuchtwangers Roman, erzählt die Legende von der Jüdin Rahel, die König Alfons VIII. von Gemahlin und Reich entrückt. Nach sieben Jahren wird sie der Staatsraison geopfert, sprich von den Granden ermordet. Vàmos spiegelt die Geschichte des historischen Paares in dem heutigen Schicksal von Ramaza (anrührend: Kaori Morito), einer Muslimin, und dem Christen Arno. Das Mädchen wird vom Bruder für die Familienehre erstochen.

Beide Paare tanzen teilweise synchron, ein schöner Effekt. Nur häufen sich die Fragezeichen: Wo ist die Parallele, wenn die Jüdin von Toledo doch nicht ihrer Religion wegen, sondern aus Eifersucht getötet wurde? Warum wird ihr Schicksal, das im spanischen Mittelalter beheimatet ist, in die Zeit von General Franco verlegt? Selbst bei genauem Studium des Programmheftes, ohne das man bei all den Rückblenden und Intrigen gänzlich verloren wäre, wollen sich keine Verbindungen erschließen.

Nimmt man im ersten Akt die Verwirrung noch hin, angetan von einigen Bildern von großer dramatischer Kraft (Geburt des Glaubens), resigniert man im zweiten. Zumal Vàmos die choreografischen Einfälle verlassen und er zu Gesten des Stummfilms greift. Valerio Mangianti kann einem nur leid tun, wie er, anfallartig, mit vorgestreckten Armen durch den Saal springt, als er den Tod der Geliebten realisiert. Obwohl er teilnahmslos daneben stand, als die Tat geschah.