In Musik verwandelte Wut

REM tun, was wir von ihnen erwarten: Ihr neues Album „Accelerate“ ist ein musikalischer Renner.

Düsseldorf. Diesmal haben sie es wörtlich genommen: "Accelerate" heißt das neue Album von REM - "beschleunigen". Und beschleunigen, das tun sie in der Tat. Peter Bucks Gitarre kreischt. Mike Mills’ Bass treibt mit der spielerischen Präzision eines Paul McCartney voran. Und Michael Stipe? Der singt wie er zuletzt auf "Monster" (1994) gesungen hat: Dreckig, laut, derbe.

Theoretisch könnte man jetzt über REM das sagen, was über viele - nennen wir sie einmal "ältere" - Rockbands gesagt wird: Dass sie sich auf ihre Ursprünge besonnen haben. Dass sie zurückgekehrt sind zum Garagen-Sound. Dass sie alle Schnörkel weggelassen haben. Kurz: Dass ihnen einfach nichts Neues mehr eingefallen ist. Aber bei REM verbietet sich das.

Denn die US-Band aus Athens/Georgia ist seit nunmehr 28 Jahren nicht weniger als die größte Alternative-Rockband der Welt. Da wäre jeder Anflug von Kritik schon Majestätsbeleidigung - und ganz nebenbei auch gar nicht angebracht. Denn REM sind unkaputtbar. Sie haben vollkommen todgespielte Songs wie "Losing My Religion" und Peinlichkeiten wie "Shiny Happy People" überlebt.

REM haben mit "Automatic For The People" 1992 ein Album veröffentlicht, das zwar irgendwie schon nach Mainstream klang, das aber mit all seiner Erhabenheit und dieser zu Tränen rührenden Schönheit doch und gerade die alternative Pop- und Rockmusik prägte. Die Band nahm vor "Accelerate" das schlicht und ergreifend beliebige und uninteressante Album "Around The Sun" auf und haute die Massen im Rahmen endloser Touren doch jeden Abend aufs Neue um.

Und: Sie hätten sich - so wird Peter Buck im "Rolling Stone" zitiert - "schon eine Million Mal auflösen können" und haben sich doch immer wieder berappelt. Und genau darum sind REM - so wie sie sich heute präsentieren und so wie sie heute klingen - alles andere als alt, als überholt, als unwichtig. Dem neuen Album etwa hört man in jeder Sekunde das Herzblut an, das Stipe, Mills und Buck investierten - unter Regie übrigens des Produzenten Garret "Jacknife" Lee.

Andere Bands zerbrechen an so etwas: Sie hören auf zu existieren, weil sie sich auflösen. Oder sie hören auf zu existieren, weil sie nicht mehr "brennen". Nicht so REM. Noch einmal Buck, noch einmal im "Rolling Stone": "Ich will weitermachen. Ich will gerne eine dieser Bands werden, bei der die Leute sagen: Verdammt nochmal, die können es noch."

Der neue Titel 34 Minuten und 41 Sekunden benötigen REM auf "Accelerate", um die kleine Schmach des laschen Vorgängeralbums "Around The Sun" zu tilgen und etwaige Differenzen zwischen den Musikern über Bord zu werfen. So schnell und effizient betreibt nicht jeder Vergangenheitsbewältigung. Und auch nicht so gut. Denn REM sind nicht nur geradezu räudig schnell ("Livin Well Is The Best Revenge"), sie sind nicht nur so rasant wie die jungen Sonic Youth ("Horse To Water"). Sie sind auch wütend, wenn Stipe in "Man-Sized Wreath" Gift und Galle spuckt und fordert: "Throw It On The Fire. Throw It In The Air. Kick It Out On The Dance Floor. Like You Just Don’t Care.”

Weg mit allem Ballast Konzentriere dich aufs Wesentliche: den Rock. Er steht REM ungemein gut. Viel zu lange hat man ihn von der Band nicht mehr vernommen. Und doch schaffen sie es, in Songs wie "Supernatural Superserious" oder "Hollow Man" trotz der neuen Ruppigkeit die Essenz dessen beizubehalten, was diese Truppe immer schon ausmachte: diese unfassbaren, Gänsehaut erzeugenden Melodien - oft klagend, manchmal fröhlich. Immer aber wunderschön. Am Ende seines Lebens, so singt Stipe im letzten Song des Albums ("I’m Gonna DJ"), will er im Himmel Platten auflegen. Oh, ja: Bitte! Niemand anderes sollte das tun dürfen!