Theater: Liebesbriefe an den „Herzensadolf“ Hitler
Eine Uraufführung in Neuss basiert auf ungewöhnlichen Texten aus der NS-Zeit.
<strong>Neuss. Die Chance war groß: Nach Hitler-Klingeltönen fürs Handy ("Ich hock in meinen Bonker"), Helge Schneiders Parodie fürs Kino ("Mein Führer") und dem Stromberg-auf-dem-Obersalzberg-Ulk ("Switch" auf Pro Sieben) hätten die Macher von "Liebesbriefe an Adolf Hitler" einen furios-ungewöhnlichen Abend liefern können. Von der derzeit allgegenwärtigen Beschäftigung mit dem Regime der 30er und 40er Jahre mit den Mitteln der Verballhornung hätte sich die Revue im Neusser Theater am Schlachthof, die Quellen aus dieser Zeit zitiert, abheben können. Doch bei der Uraufführung am Donnerstag wurde schnell klar: Das Team um Regisseur Johann Wild, Jahrgang 1967, ist auf den Comedy-Zug aufgesprungen, die zugegebenermaßen starke Anziehungskraft des Trends war wohl einfach zu stark. Dabei benötigen die bizarren Textvorlagen keine zusätzliche Dramaturgie. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand ein US-Offizier Post in der Berliner Reichskanzlei: Liebesbriefe deutscher Frauen an den "Führer" - oder "Purzelchen", wie ihn die Schreiberinnen zärtlich nennen, "Wölfchen" oder "Herzensadolf". Schon allein die Nennung solcher Kosenamen durch die Darstellerinnen auf der gelungenen "Herzblatt"-Show-Bühne, gerichtet an den berüchtigsten Massenmörder der Weltgeschichte, reicht aus, um beim Zuhörer eine eigenwillige Mischung aus Amüsement und Ekel zu erzeugen. "Ich küsse dich auf deine vier Buchstaben und tue Front frei. Mehr Patriotismus kann man nicht verlangen", schreibt eine offenbar zu allem bereite Frau. Andere berichten dem "Führer" von ihrer Hausarbeit oder schildern detailliert den Inhalt ihrer Rumpelkammer. Melanie Kleinsorg, Ana Maria Gonzalez und Carolin Stähler lesen die Briefe im Wechsel, mal im Outfit "tiefstes Niederbayern", mal als Möchtergern-Vamp im Glitter-Kleid. Sie schreien, kieksen und lallen und das teilweise durchaus gekonnt-komisch - nur warum diese übertriebene Übertreibung?
Völlig unnötig ist außerdem die Rolle der Kommentatorin (Ilva Melchior), die ironisch darauf hinweist, dass der derart Angehimmelte etwa für den Überfall auf Polen und die Ghettos verantwortlich ist - als ob der Zuschauer das nicht wüsste!
Zumal in der besseren zweiten Hälfte des Abends die Schrecken der NS-Zeit nun gänzlich unverhüllt aus den vorgelesenen Zeilen steigen: der Judenhass, die blinde Kriegsgläubigkeit, das tödliche Denunziantentum. Fazit: Stoffwahl und Grundidee sind gut, bei der Umsetzung allerdings wurden Chancen vertan.
Weitere Termine: Morgen sowie am 11. und 25. April, jeweils 20Uhr, Theater am Schlachthof, Neuss, Blücherstraße 31, Karten unter Telefon 02131/277499.