Recklinghausen. George Tabori, 92, hat drei neue Szenen unter dem Titel "Gesegnete Mahlzeit" geschrieben. Auf dem Besetzungszettel steht "Regie: George Tabori", gleich darunter "Probenleitung: Hermann Beil". Beil klärt den Widerspruch auf: Tabori, wohl zu gebrechlich, um bei den Proben zugegen zu sein, leitete sie von zu Haus aus. Ein höchst anfechtbares Verfahren. Um so verblüffender das Ergebnis: "Gesegnete Mahlzeit" ist ein praller, prächtiger Tabori geworden. Das Publikum begrüßte die Uraufführung, eine Koproduktion der Ruhrfestspiele und des Berliner Ensembles, am Donnerstagabend mit begeistertem, nicht enden wollendem Applaus. Dabei waren die Aufführungsbedingungen schwierig: Es wurde in Recklinghausens Bürgerhaus Süd gespielt, die Bühne dort genügt professionellen Anforderungen nicht ganz. Das Stück umfasst drei Szenen; Frühstück, Mittagessen und Abendmahl. Sie bedeuten gleichzeitig die Lebensalter: der Morgen Kindheit und Jugend, der Mittag das Erwachsenendasein, der Abend das Alter.
Zum Frühstück Frechheiten, mittags ein frivoles Arbeitsessen
Zum Frühstück serviert Tabori kleine Blasphemien, unter anderem eine hübsche Anekdote, die erklärt, wie der liebe Gott die Gnade erfand. Das Abendmahl ist voll deftiger Erotik, verbunden mit Phantasien, wie man dem Tod ein Schnippchen schlagen könnte. Der Höhepunkt aber ist das Mittagessen, eine geglückte Szene mit antikapitalistischer Spitze. In Hollywood, wo Tabori im Exil arbeitete, treffen sich ein Filmfritze und ein Schriftsteller zu einem Arbeitsessen. Es geht um die Zusammenarbeit des Studios und des Drehbuchautors, um einen authentisch klingenden Knebelvertrag, in dem ein Schriftsteller alle seine Ideen für einen Hungerlohn an einen Produzenten verkauft, der nicht merkt, wie er mit seinem Kontrakt jeden Gedankenaufschwung im Keim erstickt. Die Szene prangert in Tabori/Beils Regie amüsant an, wie es um den Geist bestellt ist, wenn er sich verkaufen muss. Das ist fast so süffisant wie Brechts "Hollywood Elegien". Daniel Reim hat eine Bühne entworfen, die an Taboris Schlaf- und Arbeitszimmer erinnert und es gleichzeitig symbolisch überhöht. Ein Bett wird schräg an einen aus beschriebenem Papier und Heften aufgeschichteten Hügel gelehnt, darauf Dirty Don. Veit Schubert stellt ihn voller Anspielungen auf Tabori dar. Dirty Don, eine Schwundform von Don Giovanni, erinnert sich an sein Leben und sinnt darauf, wie er das Sterben vermeiden kann - der Gedanke an den Tod durchzieht wie ein Leitmotiv das grotesk-komisch-absurde Schauspiel. Das Ensemble knüpft an Taborische Traditionen an, greift einfühlsam seine Intentionen auf und spielt auf hohem Niveau. Hermann Beil deutete im Gespräch an, George Tabori gehe es nicht sehr gut, er wies darauf hin, dass Taboris 93. Geburtstag bevorstehe, gleichwohl der greise Dramatiker aber ein neues Stück plane. Tabori ist offenbar fest entschlossen, das Leben bis zur Neige auszuschöpfen - die "Gesegnete Mahlzeit" ist der beste Beweis. Ein starkes Stück.
Aufführungen von "Gesegnete Mahlzeit" in Recklinghausen am 11. und 12. Mai, am Berliner Ensemble 15., 16. und 18. Mai. Kartentelefon: 02361/ 92 18 0) www.ruhrfestspiele.de