Ruhrfestspiele: Was ist die Formel der Liebe?

Das Stück „A Disappearing Number“ eröffnet die diesjährigen Ruhrfestspiele.

Recklinghausen. Zahlenreihen führen in der Mathematik häufig in die Unendlichkeit. Doch was nutzen diese Formeln schon gegen die Endlichkeit des menschlichen Lebens? Mathematik und Theater versucht die Compagnie Complicité aus London miteinander zu verbinden. Ungewöhnlich, aber durchaus bemerkenswert. Zum Auftakt der diesjährigen Ruhrfestspiele zeigt das Independent-Ensemble seine neue Produktion in Recklinghausen als Koproduktion mit den Wiener Festwochen, dem Londoner Barbicanbite und dem Holland Festival.

Als Improvisation hat Complicité das Stück "A Disappearing Number - Der Mann, der die Unendlichkeit kannte" unter der Regie von Simon McBurney entwickelt. Der Mann ist eine Ikone der freien britischen Theaterszene und gleichzeitig als Schauspieler bekannt aus vielen Kinoproduktionen. Im Mittelpunkt des Stücks steht das indische Mathegenie Srinvasa Ramanujan, der 1913 nach England kam und mit seinen Entdeckungen von Zahlen-Sequenzen als zweiter Newton galt. Doch schon 1920 starb er an Tuberkulose und hinterließ 4000 mathematische Formeln.

Ramanujans Geschichte wird in vielen kleinen Szenen assoziativ, nicht unbedingt chronologisch, erzählt und gleichzeitig verknüpft mit einer Geschichte aus dem heutigen London. Ein Mann, Alex (Simon McBurney), verbringt die Nacht unfreiwillig in dem Hörsaal, in dem seine verstorbene Frau Ruth als Mathedozentin unterrichtete. Anhand von Unterlagen, Fotos und Büchern rekonstruiert er die Geschichte ihrer Liebe. Doch auch hier steht die Logik von Zahlenreihen, die seine Frau so sehr liebte, im Gegensatz zur Unberechenbarkeit des Lebens. Zufall und Schicksal lenken den Menschen. Und Ruth kehrt von einer Indienreise auf den Spuren Ramanujans nicht zurück.

Was sich nacherzählt stringent anhört, zersplittert der sehenswerte, wenn auch etwas überambitionierte Theaterabend in viele kleine Häppchen. In filmischer Erzählweise, mit Schnitten, Schwenks und Zeitraffern, springt das Stück zwischen den Handlungssträngen und Zeitebenen, zwischen Los Angeles, London und Madras wild hin und her. Die Tafel des Hörsaals dient dabei als Projektionsfläche für vielerlei Videoeinspielungen (Bühne: Michael Levine), die zusammen mit der indischen Live-Musik (Nitin Sawhney) ein höchst atmosphärisches Kaleidoskop ergeben. Poetische Bilder und Erzählungen über die Liebe stehen im Kontrast zu den Zahlenreihen, die (vom Beamer) wie Regen über die Bühne perlen. Die klappbare Hörsaal-Tafel, unter der die Figuren häufig auf- oder abtauchen, dient als Schleuse zwischen Vergangenheit und Zukunft.

So reiht der Abend viele innovative Regieeinfälle und treffende Beobachtungen aus einer globalisierten Welt aneinander, die schön anzusehen sind und doch nicht als Ganzes Sinn ergeben. Die engagierten Darsteller, allen voran Simon McBurney, der etwas liebenswert Zerstreutes wie Woody Allen besitzt, machen "A Disappearing Number" zu einem kurzweiligen Experiment, dem so mancher Strich vielleicht noch gut tun würde.

2 Std. ohne Pause, in englischer Sprache mit Übertitelung, Auff.: 5., 6., 7., 8. Mai, Karten: 02361/9218-0