Uraufführung: Tanzen im World Wide Web

Der Choreograf Rodolpho Leoni zeigt sein Stück „Mesh“ auf Pact Zollverein. Christine Bai ist eine so lyrische wie entschlossene Herrscherin des virtuellen Universums.

<strong>Essen. Unendliche Weite. Das Jahr 2007. Der Bühnenraum in der alten Waschkaue auf Zollverein ist aufgerissen bis zur kahlen Mauer. Links Stahltüren, rechts in die Kachelwände eingelassene Durchgänge, die den Blick freigeben auf die Welt jenseits des Saales. Bühne frei für das Internet. Eigentlich war es eine Frage der Zeit, wann der Choreograf Rodolpho Leoni, besessen von getanzter Kommunikation, das World Wide Web zum Sujet erheben würde. Nachdem er die Tänzer seiner Compagnie "Leoni Dance" bereits zu Webern von Texturen, kreisenden Elementarteilchen, tanzenden Telegrafen und zuletzt zu einem faszinierenden menschlichen Energieschaltkreis ("If and only if") erklärte, werden sie jetzt in "Mesh" (etwa: vermaschtes Netz) zu Routern. Wie ein Relikt wirkt da das wie von Raureif bedeckte Geäst über der Bühne - anachronistisches Naturdach. Darunter liegt eine Tänzerin. Erste Impulse durchzucken ihren ruhenden Körper, in immer kürzeren Intervallen. Sie richtet sich auf und nimmt mit lässigen Bein- und Arm-Schlenkern im vertrauten Leoni-Vokabular, kreiselnd und gleitend, den Raum in Besitz. Wenn sie gegen Ende ihres Solos mit einer majestätischen Geste des Durchlass-Gewährens die Bühnenmitte behauptet, wirkt sie in ihrem weißen Hosenanzug, darunter ein durchschimmerndes schwarzes Dessous (Ausstattung: Anke Schinka), wie eine moderne Göttin.

Lyrische Herrscherin des virtuellen Universums

Christine Bai ist eine so lyrische wie entschlossene Herrscherin des virtuellen Universums. Wenn sie (Daten-) Wege freigibt oder sperrt, kann sie durchaus aufgebracht reagieren und erbeben. Regungen, die dem abstraktem Tanz eine beinahe anekdotische Menschlichkeit verleihen.

Philipp Ludwig Stangl komponierte ein Sounddesign mit solistischen Einsätzen von Klavier, Kontrabass und Schlagwerk, das den Raum weitet und die Verlorenheit der Protagonistin spürbar macht. Rodolpho Leoni gesellt ihr I-Fen Lin zur Seite. Diagonal stehen die beiden sich gegenüber, setzen zu redseliger Tanz-Kommunikation an - es bleiben Monologe.