Kunstsammlung NRW Lygia Pape: Tausende Silberfäden wie Lichtstrahlen

DÜSSELDORF · Die Kunstsammlung NRW widmet Lygia Pape eine Schau mit abstrakt-geometrischen Gemälden, Zeichnungen und Reliefs. Diese zeigt klar auf: die Künstlerin war eine Koryphäe auf ihrem Gebiet.

Die brasilianische Künstlerin Lygia Pape arbeitet an ihrer geometrischen Kunst im Atelier (hier im Jahr 1959).

Foto: Kunstsammlung Düsseldorf/Guenther Pape/Projeto Lygia Pape

Sie malte zuerst geometrische Figuren in Öl auf Leinwand, ähnlich wie die europäische Künstler-Elite. Fertigte abstrakte, raffiniert komponierte Holzschnitte („Tecelares“) an oder tapezierte eine Monumentalwand mit 365 kleinen spielerischen Architektur-Quadraten, die auch ihr persönliches künstlerisches Tagebuch („Buch der Zeit“) sein könnte. Später schrieb sie Gedichte, reiste im VW-Käfer durch die Lande und drehte Filme vom Karneval oder von Kindern in den Favelas von Rio de Janeiro. Und errichtete, kurz vor ihrem Lebensende, magnetische Räume mit Hunderten von Silberfäden: Lygia Pape (1927-2004), ab 1983 Professorin für Bildende Kunst in Rio, war Avantgarde-Künstlerin, Bildhauerin, Graveurin und Filmemacherin und wurde damit zu einer Schlüsselfigur der Betonbewegung und später Mitbegründerin der Neo-Betonbewegung in Brasilien der 1950er und 1960er Jahre.

In New York und Lissabon gefeiert

In New York und Lissabon wurde sie häufig gefeiert, ihr Name dürfte aber hierzulande höchstens Insidern bekannt sein. Um das zu ändern, widmet die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf (K20) dieser außerordentlich vielseitigen Künstlerin aus Lateinamerika (in erster Ehe mit einem Deutschen verheiratet) die erste große Retrospektive in Deutschland.

In der Halle des Paul-Klee-Saals erscheint die von Isabelle Malz kuratierte Schau leichtfüßig und extrem abwechslungsreich – und spiegelt somit Werk und Leben dieser Brasilianerin aus gutbürgerlichem Haus, die zu einer politisch aktiven Künstlerin wurde, sich erst sehr spät um Vermarktung kümmerte und dem Galerie-Betrieb öffnete. Sicherlich war sie geprägt durch den Widerstand zu zwei repressiven Diktaturen (1937 bis 1945 und 1964 bis 1985)  – zwei Perioden, die unerhört fruchtbare Jahre des künstlerischen Aufbruchs nach sich zogen.

Besonders Mitte des 20. Jahrhunderts: In den 50er Jahren – damals wurde auch die neue Hauptstadt ‚Brasilia‘ gebaut, geplant von Star-Architekt Oscar Niemeyer – wurde Brasilien zu einem kosmopolitischen Anziehungspunkt von Künstlern, neben den USA und Europa. Lygia Papes lebendiges Oeuvre ist sicherlich ein Beweis dafür, dass ebenfalls Künstler in Brasilien europäische Genres, Kunstrichtungen, wie Concept-Art, und Stile aufnahmen und weiterentwickelten.

In einigen Sälen laufen zahlreiche Super-8-Filme in Dauerschleife. In einem Streifen etwa schlüpft ein Mensch aus einem quadratischen Ei („O Ovo“),  oder man sieht eine körperbetonte Performance am Strand („Roda do prazeres“) oder in der Favela da Cabeca („Divisor“). Daneben Boxen mit Kakerlaken („Caixa das baratas“) oder Ameisen („Caixa das formigas“). Aus einer Performance mit Favela-Kindern stammt der Titel der Schau „The Skin of all“ (die Haut des Alls/ oder: die Haut von allen) und das Motiv des Ausstellungsplakats: Kinder steigen unter ein riesiges weißes Leinentuch und stecken ihre Köpfe durch Schlitze, die in das Tuch gerissen wurden. Was von weitem wie eine subtile, abstrakte Fotografie wirkt, entpuppt sich als poetisches Meisterwerk mit real existierenden Figuren.

Reine Konzeptkunst bietet die Installation „Windeier“ (Ovos do vento): Eine über zwei Meter hohe Mauer erhebt sich – aus Hunderten von weißen Plastiksäcken, in denen luftgefüllte Gummibälle stecken. Von innen leuchten rötliche Alarmsignale – es sind pulsierende Notfall-Lichter. Doch was hinter den Mauern steckt, bleibt dem Besucher hermetisch verschlossen. Pape stellt den Betrachter gerne vor Rätsel.

Ganz anders bei der kreisrunden Installation mit 16 weißen Porzellanschalen, gefüllt mit Wasser – mit Lebensmittelfarben gefärbt in Blau, Gelb, Rot und Grün mit Geschmackszusätzen versehen. Jeder erhält eine Pipette und kann / soll von der Flüssigkeit nehmen. Überraschung inklusive: Der Geschmack entspricht den Erwartungen, die die Farben auslösen. Die geometrisch strenge Anordnung steht im Gegensatz, wie in vielen ihrer Werke, zur spontan emotionalen Geste und der damit verbundenen Neugier der Künstlerin.

Der ästhetische Clou der Schau, ermöglicht durch die Stiftung „Projeto Lygia Pape“ (geleitet durch ihre Tochter Paula Pape), ist ein saalhoher anthrazitfarbener dunkler Kubus: Wie Lichtstrahlen aus dem Himmel wirken die Balken gesponnen aus Tausenden von Silberfäden. Sie erstrecken sich zwischen Boden und Decke – genannt „Ttéia 1C“. Die von oben beleuchteten Fadenstränge in dieser spektakulären, vibrierenden und poetischen Raum-Installation erinnern an Violinsaiten, Lichtstrahlen oder Spinnfäden. Diese letzte Arbeit könnte die Quintessenz ihres Lebens sein: Lygia Pape verglich ihre Arbeit häufig mit der einer Spinne. Sie zog aus, sog immer neue Eindrücke in sich auf und spann zeitlebens ihre Fäden, im privaten Leben wie in auch in der Kunstwelt.