Archiv: Stummfilme sind gefährdet
Ein Großteil der Streifen ist bereits verloren. Auch den heutigen Kinoproduktionen droht das Vergessen.
Brüssel. Der Mann und das Känguru liefern sich einen Boxkampf. In völliger Stille, ein wenig zu schnell bewegen sie sich umeinander, in etwas schattigem Schwarzweiß, aber klar erkennbar. Die absurde Szene ist Teil des ersten in Deutschland gedrehten Films, 1895 im Berliner Varieté "Wintergarten" aufgenommen. Es ist ein seltenes Zeitdokument: Nach Schätzungen der EU-Kommission sind 80 Prozent aller Stummfilme bereits verloren oder zerstört, und auch aktuelle Filme sind nicht vor dem Verfall geschützt. Gründe: Sie werden nur unzureichend gelagert und es gibt Probleme mit dem Urheberrecht.
Dem Erhalt der Filme hat sich in Deutschland das Bundesarchiv verschrieben. "Wir sammeln nicht das Wahre, Gute, Schöne, sondern alles, was in Deutschland als Bewegtbild entstanden ist", erklärt Martina Werth-Mühl, stellvertretende Abteilungsleiterin im Filmarchiv der Behörde. Der Anspruch ist zwar umfassend, die Abdeckung indes lückenhaft. Denn nicht jeder neue Film landet als Kopie in den Regalen des Berliner Archivs. Ganz im Gegensatz zu den in Deutschland erscheinenden Büchern, die allesamt in der Leipziger National-bibliothek gelistet und gesammelt werden, gibt es für Filme nicht einmal ein zentrales Register.
Vielleicht liege es daran, dass die Branche ihre Produkte "viel mehr als Wirtschafts- denn als Kulturgut" betrachte, mutmaßt Werth-Mühl. Nur öffentlich geförderte Produktionen müssen dem Archiv eine Kopie geben. Und diese Kopie ist in vielen Fällen die klassische Filmrolle im 35-Millimeter-Format, schon deshalb, weil viele Kinos noch Rollen nutzen. "Was auf Film entstanden ist, wird bei uns auch auf Film gelagert", so Wert-Mühl.
Abspieltechniken und Software änderten sich ständig, erklärt die Archivarin. "Die unsicherste Lagerung ist die digitale." Und teuer würde es auch: In einem Bericht an die EU-Kommission argumentieren die zuständigen deutschen Stellen, zu fürchten sei eine Verzehnfachung der Lagerungskosten.
Das kritisiert die EU-Kommission: "Die herkömmliche Art und Weise, empfindliches Filmmaterial in verschlossenen Kästen in Tresorräumen aufzubewahren, gewährleistet nicht dessen Erhalt für die Nachwelt oder seine Zugänglichkeit", heißt es.