Interview mit dem Festivalleiter von Cannes: Ein guter Präsident statt ein schlechter Regisseur

Gilles Jacob, Festivalleiter von Cannes, äußert sich über den deutschen Film: "Wir verfolgen die derzeitige Entwicklung des deutschen Kinos mit viel Aufmerksamkeit und Interesse."

Paris. Mehr als 10 Jahre lang ignorierte Cannes den deutschen Film. Sogar "Good Bye, Lenin!", der in Frankreich zum erfolgreichsten Film seit Fassbinder wurde, war nicht zu sehen. Jetzt sind mehrere deutsche Regisseure vertreten. Fatih Akin zeigt im Hauptwettbewerb "Auf der anderen Seite", Volker Schlöndorff in einer Sondervorführung "Ulzhan" und Robert Thalheim in der Festival- Nebenreihe "Un certain regard" seinen Film "Am Ende kommen Touristen".

Monsieur Jacob, steckt dahinter nur eine verstärkte Auslandspräsenz oder ein neues Interesse am deutschen Film?

Jacob: Das deutsche Kino war in den 70er und 80er Jahren sehr erfolgreich. Es zählte rund zehn große Filmemacher, von denen einige wie Wim Wenders oder Volker Schlöndorff in Cannes ausgezeichnet wurden. Diese glorreichen Jahre haben ihre Vor- und Nachteile. Denn oft folgt solchen Zeiten eine Periode des "Untergangs". Seit einigen Jahren jedoch gibt es wieder neue talentierte Filmemacher, eine neue Schule. Der Film "Das Leben der Anderen" und "Good Bye, Lenin!" waren große Publikumserfolge, die durchaus in Cannes hätten gezeigt werden können. Wir haben dieses Jahr mehrere deutschsprachige Filme in Cannes und hoffen, damit unseren Rückstand aufzuholen. Wir verfolgen die derzeitige Entwicklung des deutschen Kinos mit viel Aufmerksamkeit und Interesse.

Die Auswahl der Wettbewerbsbeiträge wird regelmäßig kritisiert. Der Jury wurde vorgeworfen, französische Filme und bestimmte Namen zu bevorzugen. Zurecht?

Jacob: Das Problem ist, dass durchschnittlich 90 Länder ihre Filme einreichen, wir aber nur 13 bis 14 Länder für den Hauptwettbewerb auswählen können. Das sorgt jedes Jahr für neue Kritik und Vorwürfe von Ländern, die nicht in die Auswahl gekommen sind. Das trifft aber für jedes Filmfestival zu. Wir haben aber wichtige Nebenreihen wie "Un certain regard" oder "Quinzaine des réalisateurs", wo weitere Filme gezeigt werden können. Die Auswahlkriterien der Jury sind wirklich sehr offen.

Was bedeutet für Sie Cannes?

Jacob: Als man mir vor knapp 30 Jahren die Leitung der Auswahlkommission anbot, war ich völlig überrascht. Ich hatte mit einem solchen Angebot nicht gerechnet. Ich war ein junger Filmkritiker, aber gleichzeitig auch in der Produktion tätig. Vielleicht hat das dem damaligen Präsidenten Favre Le Bret an mir gefallen. Für das Festival zu arbeiten ist für mich die schönste Sache der Welt.

Welches waren ihre schönsten und schlimmstes Cannes-Erlebnisse?

Jacob: Einer der Höhepunkte war 1997 der 50. Geburtstag des Festivals. Aus diesem Anlass wurde erstmals die "Palme aller Palmen" für den besten Regisseur aller Zeiten an Ingmar Bergman vergeben. Er war bei der Übergabe nicht zugegen. Statt Bergman kam seine Tochter, die in Anwesenheit aller seiner Lieblingsschauspielerinnen den Preis entgegennahm. Das war ein sehr bewegender Moment. Der schlimmste Augenblick war der Einzug ins neue Palais im Jahr 1983. Nichts funktionierte. Wir hatten riesige technische Schwierigkeiten und mussten fast das Festival absagen.

Sie sind auch als Regisseur tätig und drehen Kurzfilme wie "55 Jahre Cannes". Ist Filmemacher ihr eigentlicher Wunschberuf?

Jacob: Um ein guter Filmemacher zu sein, muss man einen bestimmten Blick haben. Ich habe Kurzfilme gedreht aus Interesse und Spaß. Ich glaube es ist besser, ein mittelmäßiger Cannes-Präsident zu sein, als ein schlechter Filmemacher.