Programmreform Gutachter warnen: Zu viele "anspruchslose" Gewinnspiele beim WDR

Das Image von WDR 2 könnte beschädigt werden, warnt ein Gutachten des Rundfunkrats.

Foto: WDR/Doerthe Boxberg

Köln. Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe, Entlassungen, Vertuschungsvorwürfe, aufgeschobene Vertragsverlängerungen von TV- und Radio-Direktion — das sind die Schlagzeilen, die seit Monaten die Nachrichten über den Westdeutschen Rundfunk beherrschen. Sie verdecken eine kleine Sensation, die hinter den Kulissen ebenfalls für massive Diskussionen sorgt: Der WDR-Rundfunkrat, bislang ein Abnick-Gremium zum Lob des Intendanten, hat externe Gutachter beauftragt, die Umsetzung seiner Programm-Vorgaben untersuchen zu lassen. Für WDR-Verhältnisse sind die Befunde mehr als kritisch.

Unter die Lupe nahmen die Kölner Medien-Professoren Konrad Scherfer und Helmut Volpers dabei die 2017 vollzogene Programmreform der Radiowellen WDR 2 und WDR 4. Die positive Feststellung: Seit der Reform seien die beiden Wellen besser unterscheidbar. Ansonsten ist genau die Verflachung auf Kosten der Qualität eingetreten, die Kritiker seit der Verpflichtung der früheren Privatradio-Chefin Valerie Weber als Rundfunk-Direktorin 2013 befürchtet hatten. Weber, deren Vertrag nun zur Verlängerung anstünde, war die erste wichtige Personal-Entscheidung von Intendant Tom Buhrow und wurde vor allem WDR-intern von Anfang an massiv kritisiert.

Selbst in einer Pressemitteilung des Rundfunkrats heißt es wenig beschönigend zu den Reformauswirkungen auf das Programm: „Dem Anspruch, die journalistische Qualität von WDR 2 und WDR 4 zu stärken, wird allerdings der Rückgang der Formatvielfalt nicht gerecht. Aufwändige, gebaute Beiträge (Mischung aus einem vorproduzierten Text mit O-Tönen) oder Radiocomedy (‚Die von der Leyens‘, ‚WDR 2 Zugabe‘) sind seltener zu hören, dafür gibt es mehr Moderatoren-Geplauder oder Hinweise in eigener Sache.“ Das Gutachten selbst wird vor allem in den Details erheblich deutlicher.

Größter Kritikpunkt der Gutachter ist die massive Erhöhung des Anteils von Gewinnspielen in der Frühsendung von WDR 2: „Das Image von WDR 2 als Informationsleitwelle wird durch dieses simple und anspruchslose Unterhaltungselement, das typisch für das Privatradioformat ist, beschädigt.“

Der Anstieg der Gewinnspiele gehe zudem zulasten anderer Unterhaltungselemente, vor allem der Radiocomedy. Dadurch erhalte die Anmutung der „Morningshow“ eine neue Prägung: „Die Gewinnspiele ziehen sich mit An- und Abkündigungen durch die gesamte Sendung und zum Teil über die volle Stunde hinweg.“ Auch nutzt die Welle im Rahmen ihrer „trivialen Gewinnspiele“ (genannt wird hierbei das Spiel „Trikottausch“) nicht die Möglichkeit, Bildungs- und Informationselemente in das Spiel mit einfließen zu lassen oder Wissen abzufragen.

Die Gewinnspiel-Inflation halten die Gutachter aber nicht nur bei WDR 2, sondern auch bei dem von der Schlager- zur Oldie-Welle umgebauten WDR 4 für ein Problem: „Wie bei WDR 2 beschränkt sich auch bei WDR 4 der Gewinnspielcontent nicht auf einen einzelnen Sendeplatz, sondern die ,Kreuzfahrt der Stars’ ‚gondelt‘ durch das gesamte Programm. Selbst wenn man die Perspektive des Publikums berücksichtigt, das an diesen Inhalten Spaß haben mag, ist die starke Dominanz der Gewinnspiele für einen öffentlich-rechtlichen Sender frappierend.“

Der Rundfunkrat sagt es in seiner Zusammenfassung noch deutlicher: „Die Gutachter kritisieren die hohe Zahl von Gewinnspielen in beiden Wellen; eine weitere Zunahme könnte insbesondere den öffentlich-rechtlichen Charakter von WDR 2 infrage stellen.“ Dabei erwarten weder der Rundfunkrat noch die von ihm beauftragten Gutachter, dass die öffentlich-rechtliche Anstalt ihr Boulevard-Radio (WDR 2) oder ihren Dudelfunk (WDR 4) in besinnliche Wellen für geräuschempfindliche Intellektuelle verwandelt.

Die Gutachter erkennen an, dass WDR 2 innerhalb der „WDR-Flottenstrategie“ „als Tagesbegleitprogramm für ein Alterssegment 30 bis 55 Jahre als Kernzielgruppe konzipiert“ ist. Auf der Basis der Mediennutzertypologie seien die sozialen Merkmale der Hörer als „harmoniebewusste Eskapisten“, „Familienorientierte“ und „Engagierte“ charakterisiert: „Die formale Bildung ist dadurch gekennzeichnet, dass 80 Prozent der Hörerschaft keinen Abiturabschluss haben.“

Die WDR 4-Zielgruppe bestehe aus „Bescheidenen“, „Zurückgezogenen“, „Häuslichen“ und „Traditionellen“ im Alterssegment von über 50 Jahren: „Die formale Bildung ist dadurch gekennzeichnet, dass 89 Prozent der Hörer keinen Abiturabschluss haben.“ Was beide Sender diesen Hörergruppen bieten, nähert sich aus Gutachter-Sicht immer mehr dem Angebot der privaten Lokalradios an, von dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich unterscheiden sollte — statt mit gleichen Mitteln zu ihm in Konkurrenz zu treten.

Dazu heißt es im Gutachten: „Im Höreindruck hat WDR 4 (stärker als WDR 2) die Anmutung einer privaten Begleitwelle.“ Als Vergleich ziehen die Gutachter dazu „Radio Köln“ heran, allerdings stellvertretend für die 44 NRW-Lokalradios. Die Gutachter beschreiben WDR 2 und „Radio Köln“ als „im Hörermarkt eng konkurrierend“, jedoch deutlich unterschieden: Mehr Musik und Werbung beim Privatradio, die Verwendung „radiojournalistischer Darstellungsformen“ liege bei WDR 2 „mehr als fünfmal so hoch“ wie bei Radio Köln. Anders falle jedoch der Vergleich des Privatradios mit WDR 4 aus: „Hier sind die ‚Systemunterschiede‘ auf der ersten (groben) quantitativen Ebene kaum erkennbar.“

Was die Auftraggeber des Programms einer Landesrundfunkanstalt ebenfalls kaum freuen kann: Besonders WDR 2 ist immer weniger ein NRW-Radio, stellen die Gutachter als Ergebnis der Programmreform fest: „Die Information mit NRW-Bezug ist in der aktuellen Erhebungswoche deutlich zurückgegangen: von gut 11,5 Stunden auf 9,5 Stunden. Betrachtet man die Berichterstattung mit NRW-Bezug ohne Service, dann beträgt die Ereignisberichterstattung im alten Programm 7 Stunden und im neuen 5 Stunden.“ Dies scheine nicht an der Ereignislage in den beiden Untersuchungswochen zu liegen, „sondern ist programmstrukturell begründet: So wurde die NRW-Sportberichterstattung von 50 Minuten auf 23 Minuten verringert; und der Rückgang betrifft vor allem Sendestrecken außerhalb der Nachrichten.“

Voll des Lobes sind die Gutachter für die nach ihrem Moderator „Jörg Thadeusz“ benannte Sendung, die seit Mai 2017 von Montag bis Donnerstag auf WDR 2 von 19 bis 20 Uhr ausgestrahlt wird. Die Sendung erfülle das Ziel der Reform, ein neues journalistisches Talkformat zu entwickeln. Mit dem gebürtigen Dortmunder Jörg Thadeusz sei einer der „besten seines Fachs“ als Markenzeichen verpflichtet worden. Aber auch hier: „Der rhetorisch gewandte Moderator erfüllt mit seiner Sendung die geforderten journalistischen Standards und beteiligt das Publikum. Allerdings ist hinsichtlich der Themen- und Gästeauswahl kein expliziter NRW-Schwerpunkt zu erkennen.“

Das Gutachten „Evaluierung der Programmreformen von WDR 2 und WDR 4“ finden Sie hier im PDF-Format: goo.gl/7zSrV5