Ausstellung in Essen: Rodins Kuss war gar keiner

Das Essener Museum Folkwang zeigt in der Schau „Auguste Rodin. Der Kuss – Die Paare“ 68 Werke des Meisters der Skulptur.

Essen. Das nackte Paar aus Bronze oder Marmor gilt seit Generationen als Ikone inniger Liebe: In zärtlicher Umarmung umschlungen, von Abermillionen Fotos, Postkarten und Postern in alle Welt verbreitet, geistert Auguste Rodins (1840-1917) Skulptur "Der Kuss" (1886) durch das kollektive Bildgedächtnis der meisten Menschen. Fast so spannend wie knisternde Erotik ist die wahre Geschichte dieses Meisterwerkes, das der französischen Bildhauer 1881/82 schuf und das ab morgen im Mittelpunkt einer Ausstellung im Essener Museum Folkwang steht.

Die Schau "Auguste Rodin. Der Kuss - Die Paare" lässt mit drei Dutzend weiteren erotischen Skulpturen sowie einer Reihe von Aquarellen, Zeichnungen und historischen Fotografien auch ein vielschichtigeres Bild des bedeutenden Bildhauers entstehen. Im Gegensatz zu einer vorherigen Station in München ohne trennende Wände wie in einem Kunstsalon der Rodin-Zeit präsentiert, wird in Essen durch den Vergleich der Blick auf die mutige Formfindungen des Franzosen möglich.

Vom meist genutzten Foto-Standpunkt aus abgebildet, scheinen beim "Kuss" die Lippen des sitzenden nackten Paares zu verschmelzen. Doch wer die Chance nutzt, das frühe Bronze-Exemplar zu umschreiten, bemerkt unschwer, wie sich der Mann gegen die Zärtlichkeit regelrecht wehrt. Die Distanz der Münder, die hart angespannten Rückenmuskeln, die fast zur Kralle gekrampften Zehen des Mannes und seine Hand, die die Berührung mit dem Oberschenkel der Frau nicht wagt: Einen solchen Kuss kann es nicht geben!

Kein Wunder, denn Rodin meinte mit seinem Werk zunächst das unglücklich liebende Paar "Paolo und Francesca" aus Dantes Göttlicher Komödie. Zum Erotik-Evergreen "Der Kuss" mutierte das Meisterwerk - mit Billigung des Künstlers - in den Folgejahren unter den Händen der von Rodin lizensierten, geschäftstüchtigen Gießerei. Schimmernde Bronze und glatter Marmor polierten Widersprüche und Abgründe menschlicher Sexualität weg.

Dass der als "Don Juan" bekannte Rodin³ selbst keine Scheu vor der Drastik erotischer Sujets hatte, belegen die meisten der in Essen zu sehenden Werke. Zu des Künstlers Lebzeiten durften sie nur hinter Vorhängen erwachsenen männlichen Ausstellungebesuchern gezeigt werden. Die mit gespreizten Schenkeln hockende "Kauernde" stammt wie viele andere Motive der Schau aus der langen Arbeit Rodins am vielfigurigen, literarisch geladenen Hauptwerk "Die Höllenpforte". Nach geradezu moderner Collagetechnik taucht die verkleinerte "Kauernde" in weiteren Kompositionen auf. Die von den Kunsthistorikern verschämt als "sapphische Paare" bezeichneten Frauen beim gemeinsamen Liebesspiel scheinen wie beziehungslos "zusammengesteckte" Einzelfiguren, wie ein kleines Gipskunstwerk es zeigt.

Werdegang Mit 1 3 Jahren Student der École Spéciale de Dessin et de Mathématiques. Ab 1870 öffentliche Aufträge. 1875/76 Studienreise nach Italien zum Studium Michelangelos. 1883 wird Camille Claudel seine Muse. 1894 Umzug nach Meudon. Bei der Weltausstellung 1900 sind 170 Rodin-Skulpturen zu sehen. 1905/06 ist Rilke sein Sekretär. 1917 heiratet er seine langjährige Lebensgefährtin Rose Beuret. Am 17. November 1917 stirbt Rodin.

Der Herausforderung Demenz begegnen
Welt-Alzheimertag: Für Betroffenen und deren Angehörige stellte das Velberter Demenznetz zahlreiche Angebote vor Der Herausforderung Demenz begegnen