Comeback von Bauhaus-Star Oskar Schlemmer
Stuttgart (dpa) - Willkommen zurück, Oskar Schlemmer. Jahrzehnte lang überdeckten eine schwierige Rechtslage um seinen Nachlass, jede Menge Neid und Missgunst sowie bizarre juristische Scharmützel seiner Erben eine angemessene Würdigung des Bauhaus-Stars in Deutschland.
Doch mit dem Auslaufen der Urheberrechte 70 Jahre nach Schlemmers Tod ist jetzt der Weg frei, den Jahrhundertkünstler mit einer Werkschau ins rechte Licht zu rücken: als bedeutenden Vertreter der Klassischen Moderne und vielseitigen Erneuerer der Kunst. Die Staatsgalerie Stuttgart huldigt Schlemmers „Visionen einer neuen Welt“.
„Jetzt wollen wir uns einfach freuen, dass wir endlich das Werk in den Fokus rücken können“, sagt Direktorin Christiane Lange bei der Präsentation der Retrospektive. Auf das jahrzehntelange Hickhack der Erben will sie nicht so recht eingehen. Jetzt solle der Ausnahmekünstler im Mittelpunkt stehen. Witwe Tut Schlemmer, die 1987 starb, habe mit der Schenkung des Archivs ihres Mannes 1967 an die Staatsgalerie eine „weitsichtige und großzügige“ Entscheidung getroffen.
Kuratorin Ina Conzen hat 270 Gemälde, Skulpturen, grafische Arbeiten und Originalkostüme sowie teils unveröffentlichte Dokumente zusammengestellt. Sie dokumentierten den hohen ethischen und künstlerischen Anspruch von Oskar Schlemmer (1888-1943). Zurecht gelte er als Pionier der Klassischen Moderne, der zwischen Mondrian und Dix seinen eigenen Weg gegangen sei. Er sei „so viel mehr“ als nur Maler oder Bildhauer, betont Lange. Und meint sein Schaffen als Tänzer und Bühnengestalter.
Eine Rekonstruktion von Schlemmers „Triadischem Ballett“, das 1922 im Württembergischen Landestheater Stuttgart uraufgeführt wurde, wird zur Ausstellung mehrfach vom Bayerischen Staatsballett gezeigt. Das Kunstwerk gilt als Wegweiser der Tanzkunst. Starre Kostüme zwingen die Tänzer zu marionettenhaften Bewegungen - mit dem klassischen Ballett hatte dieser Avantgardetanz nicht viel zu tun.
Der Star der Ausstellung ist dennoch ein Gemälde: „Die Bauhaustreppe“ aus dem Museum of Modern Art (MoMA) in New York. Es zählt zu einer ganzen Reihe an Geländer- und Treppenmotiven. Die „Bauhaustreppe“ gilt als Schlemmers Kommentar zur Schließung des Bauhauses in Dessau 1932. Heute zählt es zu den Schlüsselwerken der Moderne. „Junge Menschen streben aufwärts in eine lichte zukünftige Welt unter dem Dach einer funktionalen und klaren Architektur - der Traum vom „Gesamtkunstwerk““, beschreibt Conzen.
Doch auch die „Bauhaustreppe“ stand einmal im Mittelpunkt des Gezerres unter den Erben. „Das Gemälde wurde Oskar Schlemmer nie bezahlt“, sagt Enkel Raman Schlemmer. Die Nazis diffamierten es 1937 als „entartete Kunst“ und beschlagnahmten es. Insofern müsse man nicht anerkennen, dass es heute dem MoMA gehöre. Er versuchte das Bild im Jahr 2000 bei einer Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin konfiszieren zu lassen - doch da war es schon auf dem Rückweg nach New York.
Schlemmers erste große Werkschau in Stuttgart wurde 1933 von den Nazis noch vor Eröffnung geschlossen. Eine Neuauflage 1977 blieb für fast vier Jahrzehnte die einzige Würdigung des vielseitigen Bauhäuslers. Lange fand am langen Streit um das Werk auch was Positives: „Er ist nicht so abgelutscht wie seine Kollegen.“
Derweil ignorieren die Streithähne einander an diesem Tag. Der Erbstreit sei „leider noch nicht zu Ende“, sagt Janine Schlemmer zum jahrzehntelangen Zoff mit ihrem Cousin Raman. Das Werk öffentlich zugänglich machen, etwa das „Triadische Ballett“ wieder aufzuführen - diesen Wunsch ihrer Großmutter wolle sie erfüllen. Raman Schlemmer klingt da ganz ähnlich: Seine Aufgabe als Enkel sei es, das Werk „in die Welt zu bringen“. Bei seinem Handeln in den letzten Jahrzehnten sei es ihm in erster Linie um Präzision gegangen. Die Wahrung des authentischen Werks seines Großvaters sei ihm nach wie vor wichtig.
Zum andauernden Streit wollen sich beide nicht so recht äußern. Geeint sind sie aber in der Bewertung der Stuttgarter Ausstellung: Sie sei sehr gelungen, sagen sie unisono. Raman Schlemmer freut sich, dass der Maler im Vordergrund stehe. Janine Schlemmer suchte derweil die Spuren der Familie auf den Bildern. „Die Lesestunde“ von 1935 etwa, wo auch ihre Mutter abgebildet ist. Selbst kennengelernt hat sie ihren Großvater nicht. Durch Erzählungen ihrer Mutter sei er aber immer sehr präsent gewesen. „Hier sind viele Kindheitserinnerungen.“