Louvre zeigt große Deutschland-Ausstellung
Paris (dpa) — Maria sitzt auf der Bank, ein Buch in der Hand. Ihr gegenüber der Engel Gabriel. Eine Mariä Verkündigung, die durch ihre Innerlichkeit besticht und durch die Farben der Flügel des Engels verblüfft: Schwarz, Rot, Gold, die Farben der Deutschlandflagge.
„De l’Allemagne 1800 — 1939“ (etwa: Über Deutschland 1800 - 1939) heißt die Ausstellung, mit der der Louvre eine Kunst näher bringen will, die in Frankreich größtenteils unbekannt oder mit Vorurteilen behaftet ist. Ein hehres Ziel, bei dem 200 Werke, darunter zahlreiche Landschaftsdarstellungen von Caspar David Friedrich, helfen sollen.
„Wir wollen zeigen, dass die deutsche Kunst im 19. Jahrhundert nicht theoriebelastet ist, dass sie keinen Sonderweg eingeschlagen hat, sondern einfach nur anders ist“, sagt Andreas Beyer, Ko-Kurator und Direktor des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris. Das größte Anliegen des Fachmanns: zu verdeutlichen, dass diese Kunst voller Sinnlichkeit ist.
Auf Beyer geht die Initiative zu dieser Ausstellung zurück, die mehr aus Zufall zeitgleich zum Jubiläumsjahr des 50. Geburtstags der deutsch-französischen Freundschaft stattfindet. Mit Blick auf das Ziel der Ausstellung, die bis zum 24. Juni dauert, eher eine glückliche Fügung.
Die Mariä Verkündigung stammt von Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872). Der Maler gehört zu Deutschlands bekannten Romantikern und ist einer der bedeutendsten Nazarener. Die erste Entdeckung für Besucher des Louvre: die Nazarenische Kunst, eine von deutschen Künstlern in Wien und Rom gegründete romantisch-religiöse Strömung.
Deutschland im 19. Jahrhundert war eine Ansammlung von Fürstentümern, freien Städten und Staaten wie Sachsen, Bayern und Preußen. Nach 1815 entstand der Wunsch nach nationaler Einheit. Dabei spielte die Kunst eine wichtige Rolle, wie an Carolsfelds Werk zu sehen ist. Die Suche nach kultureller und nationaler Identität spiegelt sich neben dem metaphysisch-transzendenten Charakter auch in den Landschaftsdarstellungen von Caspar David Friedrich wider, wenn er auf virtuose Weise den majestätischen Watzmann malt.
Carl Gustav Carus, Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich und Otto Dix - der Louvre zeigt Kunst aus mehr als einem Jahrhundert, worauf auch der Untertitel der Ausstellung — von Friedrich bis Beckmann — hinweist. Eine Kunst von großer Vielfalt. „Die Kunst war frei, modern und antiautoritär“, erklärte Beyer. Im Gegensatz zu Frankreich gab es in Deutschland keine staatliche Akademie der Schönen Künste, die vorschrieb, was Kunst sein darf und was nicht.
Das erste Werk der Ausstellung ist das berühmte Goethe-Bildnis „Goethe in der Campagna“ von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Es hat an dieser Stelle stark programmatischen Charakter, denn der Dichter steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Er hatte mit seiner Farben- und Morphologielehre großen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Kunst. Paul Klee hat sich bei seinen häufig anthropomorphen, abstrakten Pflanzendarstellungen bei Goethe Anregung geholt. Der Saal mit Goethes Handzeichnungen stellt einen der Höhepunkte der Werkschau dar.
Das Ende der Ausstellung markieren der Stummfilm „Metropolis“ von Fritz Lang und die von Elend und Ekel beherrschten Werke von Otto Dix, George Grosz und Max Beckmann. Warum die Schau bis ins 20. Jahrhundert hineinreicht? Um zu zeigen, dass Goethes Einfluss weit in die Moderne reicht. Denn in Goethes „Faust“ geht es um die Erfahrung von Leiden und die Abgründigkeit des Bösen.
Deutsche Kunst im 19. Jahrhundert ist anders. Diesen Eindruck hatten auch französische Journalisten: Die Bandbreite der Urteile reicht von „ideologisch angehaucht“ bis „beeindruckend-interessant“ und „aufschlussreich“. Ein erster Schritt ist getan. Doch auch beim deutsch-französischen Kunstverständnis gibt es weiterhin viel zu tun. Eine Folgeausstellung wäre wünschenswert, meinte der Kurator auf französischer Seite, Sébastien Allard.