Manifesta 11 verbindet Kunst und Arbeitswelt
Zürich (dpa) - Jede Manifesta ist einzigartig. Das liegt in der Natur dieser Biennale für zeitgenössische Kunst. 1993 von der Niederländerin Hedwig Fijen gegründet, soll sie erklärtermaßen die kulturelle Landschaft ganz Europas erkunden.
So manche Manifesta seit der ersten 1996 in Rotterdam hat sich als großer Wurf erwiesen. Auch die elfte Ausgabe verspricht beides zu werden: ganz anders als alle ihre Vorgängerinnen und zugleich ein schöner Erfolg. Mit der Manifesta 11 wird Zürich für 100 Tage zum Mekka der Freunde künstlerischer Experimente und neuer Konzepte.
Was dem traditionell orientierten Museumsliebhaber vielleicht suspekt erscheinen mag, erweist sich in der Schweizer Finanz- und Kulturmetropole als hochinteressante und alltagstaugliche Idee: Die Verbindung von Berufswelt und Kunst - wie der in Berlin lebende Aktionskünstler Christian Jankowski sie als Manifesta 11-Kurator inszeniert - bietet neue, oft unterhaltsame, immer wieder lehrreiche Einblicke in den Arbeitsalltag.
Vom 11. Juni an präsentieren 30 internationale Künstler in der wohlhabenden Stadt am schönen Zürichsee zusammen mit „Hosts“ (Gastgebern) verschiedenster Berufe die Ergebnisse ihres jeweiligen Interagierens, ihrer gemeinsamen Suche nach Sinn und Stellenwert der Arbeit für unser Leben. Wie verändern wir uns durch das, was wir zum Gelderwerb tun, und verändern wir dabei auch die Welt um uns herum?
„What People Do For Money“ ist der Titel dieser Manifesta. Was tun zum Beispiel Ärzte ganz konkret für ihr Geld? Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq, der im vorigen Jahr mit seinem Roman „Unterwerfung“ für Debatten weit über das Feuilleton hinaus sorgte, erforscht als einer der 30 Manifesta-Künstler den Mediziner-Beruf quasi im Selbstversuch.
Öffentlich unterwirft Houellebecq seinen Körper einem Check-up, zusammen mit Medizinern der Zürcher Hirslanden-Klinik. Blutdruck- und Pulsmesser, EKG-Drähte auf Brust und Rücken, Urin-Untersuchung - kann daraus Kunst entstehen? Wie gehen wir um mit dem detaillierten Wissen um Funktion und Zustand unseres Herzens, unserer Leber, Prostata oder Milz? Sind uns all diese Erkenntnisse die Kosten moderner Medizin wert?
Dass Essen auch Kunst sein kann, wissen nicht nur Gourmets. Aber was geschieht, wenn hohe „Kulinarik“ auf die Geschmackserwartung von Fastfood trifft? Das lotet der amerikanische Künstler John Arnold zusammen mit Sternekoch Fabian Sequel aus. Dessen Kreationen für verschiedene Staatsbankette werden an Zürcher Imbissbuden serviert. Arnold hat sie umgetauft in „Imbissies“ - eine Mixtur aus Imbiss und Embassy (Botschaft). Man darf gespannt sein, ob und wie Kunst aus der Begegnung von „Imbissadoren“ mit Imbiss-Stammkunden entsteht.
„Kunst empfinde ich dann als besonders geglückt, wenn sie über die Kunstwelt hinaus ein Eigenleben entwickelt“, sagt Kurator Jankowski. Seine Hoffnung für die 100 Manifesta-Tage von Zürich: Durch die Mitwirkung von Menschen aus unterschiedlichsten Berufen möge sich „etwas Tolles für die Kunst selbst“ ergeben.
Indem die „Berufsleute“ den Künstlern stets zur Seite stehen, sollen sie deren Sicht auf Themen und Abläufe beeinflussen, die zum Gegenstand von Kunstwerken werden. Dabei kommen auch Nebenschauplätze der Berufswelt in den Blick. Etwa die Arbeitsbedingungen von transsexuellen Prostituierten in der Schweiz sowie in Mexiko, untersucht von der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles.
Aber auch „Normalo“-Arbeitsumfelder können sich als hochinteressant erweisen, wenn Künstler sich damit auseinandersetzen. In einem Polizeirevier zum Beispiel, in einer Bäckerei oder auch in einer Feuerwehrstation, wo der katalanische Künstler Carles Congost zusammen mit Brandbekämpfern einen Film mit dem Titel „Simply the Best“ realisiert. Und selbst der städtischen Kläranlage lassen sich offenkundig längst nicht nur Erkenntnisse über Fäkalien abgewinnen.
Die Manifesta ermögliche es, den Alltag einer Stadt mit neuen Augen zu erleben, sagt Zürichs Kulturbeauftragter Peter Haerle. Jankowskis Konzept findet er zwar überzeugend, dennoch sieht er die Manifesta als „kollektives Experiment mit ungewissem Ausgang“.