Rimini-Altar Mit Laserpistole und Algenpaste zurück ins Mittelalter

Frankfurt/Main (dpa) - Der spanische Restaurator arbeitet an mehreren Figuren gleichzeitig: Bei einem bärtigen Apostel sucht er unter grellem Licht nach Schäden und zeichnet sie elektronisch in einem Tablet ein.

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Bei einem Jünger trocknet eine Reinigungs-Paste zwischen den Falten des Gewands. Daneben ruht eine Laserpistole, mit der Magdalena gesäubert wird, die verzweifelt den Stamm des Kreuzes umklammert. Miguel González de Quevedo Ibáñez wurde eigens aus Spanien geholt, um in Frankfurt an einer Restaurierung mitzuarbeiten, die es in sich hat: Es geht um den Rimini-Altar.

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Seinen Namen hat das Ensemble von der Kirche, in der die Gruppe früher stand: Santa Maria delle Grazie in Rimini. Der Name des Schöpfers ist unbekannt - vermutlich war es eine Werkstatt und keine Einzelperson. Nicht einmal wo genau die Skulpturen um 1430 entstanden sind, steht zweifelsfrei fest - möglicherweise in Brügge. Seit 1913 steht das Ensemble im Liebieghaus in Frankfurt. „Der Altar ist kunsthistorisch von überragender Bedeutung“, sagt Stefan Roller, Leiter der Mittelalter-Abteilung. Verglichen mit anderen Werken aus dieser Zeit und diesem Material seien die Figuren „ungleich feiner, differenzierter und virtuoser gestaltet“.

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Nur steht der Zustand in keinem Verhältnis zur Bedeutung. Das Ensemble ist so fragil, dass es nie ausgeliehen werden konnte. Musste es - zum Beispiel wegen einer Sonderausstellung - verrückt werden, wurde es in einem Bett aus Vakuum-Beuteln fixiert wie ein Skifahrer, der sich auf der Piste die Wirbelsäule verletzt hat. Hauptgrund ist das Material: Alabaster, eine Variante von Gips, die wie Marmor aussieht, aber lichtdurchlässig ist und sehr weich. Der Künstler kann schaben, kratzen und schnitzen und daher kleinteiliger arbeiten als ein Steinbildhauer. Manche Teile sind dünn wie Eierschalen.

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Der Nachteil: Alabaster reagiert mit Wasser und ist hitzeempfindlich. Viele Methoden, die Restauratoren bei Stein nutzen, scheiden damit aus. „Der Super-GAU wären Dampfstrahlen“, sagt Harald Theiss, der Leiter der Werkstatt für Skulpturenrestaurierung. Auch Wasser und Wattestäbchen sind keine gute Idee. So ging es im ersten Jahr des Restaurierungsprojekts um die Suche nach den richtigen Reinigungsmethoden. „Wir mussten das Rad neu erfinden“, sagt Theiss.

Der Alabaster-Experte aus Spanien schlug „Agar-Agar“ vor, ein pflanzliches Gel aus Algen, die Rollers Großmutter in die Rote Grütze mischte und die sich auch in asiatischen Nachtischen findet. Theiss war skeptisch, aber Tests zeigten, dass es funktioniert: Die transparente Paste zieht den Schmutz aus tieferen Schichten, ohne dass zu viel Wasser eindringt. Den oberflächlichen Schmutz entfernt das Team zuvor mit einem Laser. Das berührungslose Lasern hat den Vorteil, dass es die Oberfläche nicht mechanisch belastet.

Dass der Zustand des Rimini-Altars so schlecht ist, liegt nicht allein am empfindlichen Material. Schuld ist auch eine Restaurierung aus den 1970er Jahren, die aus heutiger Sicht nicht mehr zu rechtfertigen ist: Bruchstellen wurden geklebt, fehlende Teile mit billigem Modellgips ergänzt. Besonders kühn: Weil den Kunsthistorikern die Proportionen des Kreuzes nicht gefielen, wurden die Balken einfach in alle Richtungen verlängert. Damit wurde nicht nur das Original verfälscht, sondern das Kreuz auch instabil.

Damit stellt sich für die Restauratoren auch die Frage, wie der Meister des Rimini-Altars das Gesamtensemble ursprünglich angelegt hatte. Wie lang waren die Kreuzbalken? Auf welcher Höhe saß das „INRI“-Schild? Wie waren die zwölf Einzelteile des Kreuzes miteinander verbunden? Und war die Gruppe vielleicht sogar bunt? Theiss und González fanden an einigen Stellen Farbe.

Noch etwa ein Jahr wird die Reinigung dauern. Danach werden Fragen wie diese im Mittelpunkt stehen. Nach Abschluss der auf drei Jahre angelegten Restaurierung könnten zwei Ausstellungsprojekte stehen, sagt Roller: Eine, die den Restaurierungsprozess selbst dokumentiert, und eine, die den Rimini-Altar in seinen kunsthistorischen Kontext einordnet. Bis dahin können die Besucher des Liebieghauses den Restauratoren täglich über die Schulter schauen: Für die Arbeiten wurde eigens eine gläserne Werkstatt gebaut, durch die Scheiben kann man González und Theiss beim Arbeiten zusehen.

„Als ein Museumsdirektor, der sich immer wieder gerne selbst auf Entdeckungsreise ins Depot begibt oder den Restauratoren bei ihrer Arbeit über die Schulter schaut, ist es mir besonders wichtig, solche Blicke hinter die Kulissen auch mit den Besuchern zu teilen“, sagt Philipp Demandt, der Direktor von Städel, Schirn und Liebieghaus. Er möchte dem Publikum „die ganze Bandbreite der Museumsarbeit zugänglich machen“: Erforschung, Konservierung und Restaurierung sieht er als „Kernaufgaben“ von Museen.