Nichts erzählen, nur Narben zeigen

Der Bildhauer Ulrich Rückriem wird 70 Jahre alt.

Düsseldorf/Clonegal. Askese in Stein: Dies ist das Markenzeichen für die Kunst des Bildhauers Ulrich Rückriem. Die Sparsamkeit der Formen und sein Gespür für genaue Gewichtung machen den heute vor 70 Jahren in Düsseldorf geborenen Rückriem zu einem ganz besonderen Künstler.

Vergleichbar ist sein binnen vier Jahrzehnten entstandenes Lebenswerk vielleicht noch mit den spröden Stahlskulpturen Richard Serras oder mit den kargen Werken des Minimalisten Carl Andre, aber ganz unverwechselbar werden Rückriems Stein-Werke durchpulst von den Fertigkeiten alter Handwerks-Arbeit.

Rückriem brachte es als gelernter Steinmetz bis zum Gesellen der Kölner Dombauhütte, experimentierte zunächst mit Video und Aktionskunst ganz im Geist der 60er Jahre, dann mit Eisen und Holz, bevor er den Granit 1968 für sich entdeckte. Seitdem blieb er einer Formensprache treu, die nichts darstellen möchte.

Sorgfältig zwischen Finnland, Westfalen und Südafrika ausgewählte Steinblöcke werden gespalten, von Bohrlinien und Meißelspuren durchzogen. Die nach exaktem Maß und Proportion zertrennten Blöcke, zunächst mit rauer, dann polierter Oberfläche, fügt Rückriem nahtgenau zusammen. Der tiefe Riss im Stein, die horizontale oder vertikale Narbe wird architektonische Zeichnung - Einladung zur Kontemplation.

Man mag an Grabstelen versunkener Kulturen, an Tempeltore archaischer Religionen oder geometrisch gemessene Türen zu verschlossenen Kammern denken. Doch Rückriem verweigert alles Einsehbare. "Was ich mache, ist das Minimale, das Einfache", sagte er. Einziger Inhalt sei eben die Arbeit, der Herstellungsprozess selbst.

Genau dies zwingt den Betrachter zum genauen Hinsehen, beunruhigt aber auch, vermittelt Unsicherheit. Etliche seiner "öffentlichen" Arbeiten, mit denen er vermehrt Straßen und Plätze zwischen Hamburg und Ulm "eroberte", werden zum regelmäßigen Ziel vandalistischer Angriffe.

Mit seinem Heine-Denkmal in Bonn (1982) und dem Memorial für die deportierten Juden in Hamburg (1983) öffnet Rückriem dem "Denkmal" zeitgenössische Dimensionen.

Werktitel bleibt Rückriem, seit 1972 dreimaliger Teilnehmer der Kasseler Documenta und ehemaliger Professor an den Kunsthochschulen in Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt, dem Betrachter selbstverständlich schuldig.

Beschrieben werden die Stein-Stücke in ihrem Dialog von Maß, Gewichtung und Oberfläche nur nach dem benutzten Material. Dies klingt sachlich und dennoch poetisch, wie es die Kunstwerke eben selbst sind: "Anröchter Dolomit" als bevorzugter westfälischer Stein, "Porto-Schiefer" oder "Granit bleu".

Ausstellungen in Amsterdam, München, Berlin machten Rückriems spröde Stein-Fügungen beinahe populär. Zum Geburtstag haben noch andere Grund zur Freude: Sein gesamtes Archiv zur Skulpturenkunst erhält als Schenkung die Kunstsammlung der Ruhr-Universität Bochum.