Retrospektive: Tony Cragg sucht neue Formen

Der Bildhauer aus Wuppertal zeigt in Karlsruhe faszinierende Zeichnungen – und natürlich auch seine beliebten Skulpturen.

Karlsruhe. Wo hat Tony Cragg nicht überall zwischen Amerika, Asien und Europa ausgestellt. Seine Skulpturen, diese viel-ansichtigen Kolossalgebilde, begrüßen die Gäste vor dem Olympia-Stadion von Turin und im Wuppertaler Skulpturenpark Haus Waldfrieden. Jetzt überrascht er in einer faszinierenden Schau der Kunsthalle Karlsruhe zugleich als Zeichner.

Diese Arbeiten auf Papier sind wahre Wunderwerke. Sie künden von seinem Spieltrieb, seiner Beobachtungsgabe, seinem obsessiven Schaffensdrang, aber auch von seiner rationalen Klarheit und Systematik. Ihre zeichnerische Qualität ist unglaublich.

Im Gespräch sagt er: "Ich bin 1968 auf die Kunstakademie in England gegangen, weil ich Spaß am Zeichnen hatte. Ich denke auch heute nicht, wenn ich zeichne, dass ich Kunst mache. Es ist einfach etwas ganz Tolles."

Zeichnen ist für ihn ein Denkprozess, ein Kommunikationsmittel, ein visuelles Erlebnis. Diese 120 Blätter in den sieben Kabinetten sind nicht schön, weil sie ein ästhetisches System bedienen, sondern weil ihnen eine lange Beobachtungsphase vorausgeht. Kein Blatt wirkt spontan aus dem Bauch heraus produziert. Alles basiert auf einer konkreten Vorstellung, die sich in einer Vase, einer flachen Schüssel, einer Tischgesellschaft darstellen kann.

Er erklärt: "Wann schaut ein Menschen etwas intensiver an als wenn er eine Zeichnung macht? Es ändert sich unsere Vorstellung von der Welt, wenn man wirklich hinschaut." Aber anschließend abstrahiert er von der Anschauung.

Seine Zeichnungen sind nie bloße Abbilder, auch wenn er Dinge darstellt. Sie präsentieren Zwischenzustände, das Ineinander von Vase und Schale, die Staffelung der Objekte, die Verknotungen, Dehnungen, Öffnungen. Er fragt sich, wie aus dem Flaschenhals eine Lippe werden kann und konturiert diese Lippe klar und schnell aufs Papier.

Er hat sich ein Anwesen auf einer kleinen Insel in Schweden gekauft. Dort versucht er, die Landschaft und das Meer in Kreise und Striche, in Parzellen, Felder und offene Ebenen einzuteilen. Man assoziiert Hecken und Natursteinmauern. Die Kringel könnten aber auch dazu dienen, aus Drahtgebilden Gitter und Netze zu flechten. Immer wieder setzt er neu an, variiert, wiederholt, lässt die Dinge wachsen. Neuerdings kommt ein Zug ins Unendliche hinzu, als finde die Natur in den Strichen und Nullen keinen Halt.

Wer die Zeichnungen gesehen hat, versteht die Skulpturen leichter, auch wenn die Zeichnungen in den seltensten Fällen Vorzeichnungen sind. Der Betrachter erfährt auf dem Papier, was Cragg an der Skulptur interessiert: die Bewegung, den Druck, das Ineinander verschiedener Formen.

Der Künstler umreißt sein Bemühen um die Skulptur mit einer Frage, um sofort die Antwort zu geben: "Was ist mit dem Ding in der Mitte, mit dem nicht existierenden Mittelding zwischen dem Elefanten und dem Schwein?" Die Antwort: "Ich suche das Schweinefant. Was ist mit den Millionen unterschiedlicher Tiere, die möglicherweise dazwischen liegen?"

Wie er seine Kunst sieht? "Meine Arbeit ist dem Leben geweiht. Ich will etwas Vitales, Lebendes machen." Seine Skulpturen schieben sich leicht aus der Achse, staffeln sich in der Höhe, drehen sich um das Lot und haben im Moment der Bewegung in die Höhe den bloßen Klumpen aus Holz, Bronze oder Kunststoff längst überwunden.