William Kentridge zeigt „Gesamtkunstwerk“ in Berlin
Berlin (dpa) - Es sind dunkle, melancholische Gestalten, die sich in einem immerwährenden Zug zu den Klängen einer Blechkapelle über die Videowand bewegen. Auf langen Stecken tragen sie riesige Totenmasken vor sich her, im Hintergrund erzählt eine mit Kohle gezeichnete Landschaft von Düsternis, Not und Zerstörung.
Die raumfüllende filmische Installation ist Herzstück eines Projekts, das den südafrikanischen Künstler William Kentrigde auf bisher einzigartige Weise vorstellt. Im Berliner Martin-Gropius sind vom 12. Mai an für drei Monate seine Zeichnungen, Installationen und Filme zu sehen. Beim Festival Foreign Affairs folgen im Juli Lesungen, Liederabende und Theaterproduktionen. „Ein Gesamtkunstwerk“, sagt Museumsdirektor Gereon Sievernich.
Der 61-jährige Kentridge, ein Star der internationalen Kunstszene, arbeitet multimedial wie kaum ein anderer. Berühmt wurde er mit seinen unverwechselbaren Animationsfilmen aus Kohle- und Kreidezeichnungen, die ihre ständige Überarbeitung noch in sich tragen. Zuletzt sorgte er mit einem über 500 Meter langen Fries auf den Hochwassermauern des Tiber in Rom für Aufsehen.
Seine monumentale Prozession in Berlin nennt er „More Sweetly Play The Dance“ (2015) - „Spiel süßer den Tod“ nach Paul Celans Gedicht „Todesfuge“. Der in einer Dauerschleife laufende Fries fasst in einem Raum alles zusammen, worum es Kentridge geht. Die „Vorläufigkeit und Unsicherheit der Welt“ sind das große Thema seiner Arbeit, wie er in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erläutert. „Der Betrachter ist eingeladen, es zu vervollständigen, ihm den ein oder anderen Sinn zu geben.“
Die Ausstellung knüpft an dieses Prinzip an. Zwei Räume sind in Anlehnung an das Studio von Kentridge in Johannesburg als Atelier gestaltet - „Wunderkammern“ nennt sie Kurator Wulf Herzogenrath. Gezeigt werden Werkzeuge, Materialien, Skizzenbücher, halbfertige Arbeiten, aber auch Werke anderer Künstler, die ihm als Inspirationsquelle dienten.
Im Zentrum steht immer wieder die Zeichnung, die überarbeitet, ausradiert, verändert wird. „Er verzaubert das Zeichnen“, sagt Herzogenrath. Kentridge selbst formulierte es einmal so: „Zeichnen ist eine Art zu denken. In der Zeichnung füge ich die Gedanken zusammen und verleihe ihnen Kohärenz.“
Auch Fotos vom Schreibtisch seiner Eltern mit erschossenen und niedergeknüppelten Schwarzen sind zu sehen, die Kentridge einst tief geprägt hatten. Er stammt aus einer jüdisch-litauischen Familie mit Wurzeln in Deutschland. Seine Eltern, beide Juristen, kämpften gegen die Apartheid, sein Vater war einer der Hauptverteidiger von Nelson Mandela. Auch sein eigenes Werk setzt sich immer wieder mit Ungerechtigkeit, Terror und Unterdrückung auseinander.
Eigens für die Ausstellung hat er eine Performance geschaffen, die am Mittwoch Premiere feierte. Die Sopranistin und Schauspielerin Joanna Dudley führt das Werk „A Guided Tour of the Exhibition: For Soprano with Handbag“ auf. Wie sie da mit ihrem Fähnchen vor der Gruppe steht und mit dadaistischem Gemurmel die Ausstellung erklärt und auch wieder nicht erklärt, ist allerschönster Kentridge: Der Zuschauer soll sich gefälligst selbst sein Bild machen.