Altertumsforscher Winckelmann, Aufklärer in Sachen Antike
Dresden/Stendal (dpa) - Es nimmt ein mörderisches Ende mit einem der berühmtesten Gelehrten des 18. Jahrhunderts: Im Juni 1768 stirbt Johann Joachim Winckelmann in einem kleinen Gasthaus im italienischen Triest - erdolcht im Alter von 50 Jahren.
Die genauen Hintergründe? Nie geklärt. Als inkognito Reisender soll er einem Raubmord wegen einiger wertvoller Medaillen zum Opfer gefallen sein. Eine andere Version: Der Täter könnte ein homosexuelles Motiv gehabt haben.
Am Samstag (9. Dezember) vor genau 300 Jahren erblickt Winckelmann als Sohn eines Stendaler Schuhmachers das Licht der Welt. Sein Werdegang ist so grandios, dass am Ende die gesamte deutsche Geisteswelt über seinen Tod schockiert ist. Selbst sein Gegenspieler Lessing hätte gern mehrere Jahre des eigenen Lebens an Winckelmann abgegeben. Herder wünschte, „mancher Literat und Altertumskenner hätte statt seiner nicht bloß sterben können, sondern auch vielleicht sterben sollen“. Und Goethe erklärte später das 18. Jahrhundert zum Winckelmann-Jahrhundert.
Winckelmanns lebenslanger Drang, sich mit der Antike zu beschäftigen, befreit ihn aus der kleinen Werkstatt. Sein Vater hätte gern einen Schuster aus ihm gemacht, doch gibt er früh den Bitten des strebsamen und talentierten Jungen nach: Er schickt ihn auf eine Lateinschule mit Griechischunterricht. Winckelmann wird durch Fleiß und Bildung zu einem Intellektuellen ersten Ranges.
Für mächtig Furore sorgt er bereits als junger Mann 1755 in Dresden, wo seinerzeit imposante Bauten wie der Zwinger oder die Frauenkirche aus dem Boden wachsen. Aus dem Geist der Aufklärung heraus erklärt er in seinem Aufsatz „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ die griechischen Statuen zum höchsten Ideal der Kunst. Damit hebt sich Winckelmann erstmals von französischen und italienischen Zeitgenossen ab, die ihren Klassizismus großteils auf die römische Antike beziehen.
Auch formuliert er die Formel, die später zu Schlagwörtern der Weimarer Klassik um Goethe, Schiller, Herder und Co werden soll: Skulpturen (wie etwa der Laokoon-Gruppe) liege „eine edle Einfalt“ inne - was damals soviel wie geistliche Reinheit bedeutet - „und eine stille Größe“. Es ist eine strikte Abgrenzung zu Verspieltheiten aus Rokoko und Barock. Zudem geht die mittlerweile widerlegte Annahme, dass antike Statuen nur weiß gewesen wären, auf Winckelmann zurück. Damit erreicht er eine epochale Wirkung über seine Gegenwart hinaus.
Später geht er nach Rom. Mit der Vatikanischen Bibliothek und den antiken Stätten in Pompeji und Herculaneum findet er einen immensen Reichtum an Quellen vor - sowohl literarisch als auch archäologisch. Er macht sich an die Arbeit für seine berühmteste und wichtigste Schrift, der „Geschichte der Kunst des Altertums“ von 1764. Grundlegend verändert er die Herangehensweise an Archäologie und Bildende Kunst, indem er der erste ist, der am Beispiel antiker Werke Architektur und Kunst als stilistische Entwicklung in Epochen betrachtet - also mit Vorstufen, Höhepunkt und Verfall.
Weit über Deutschland und Italien hinaus macht sich der Gelehrte als Verantwortlicher für die antiken Schätze im Vatikan einen Namen. Als Präfekt der Altertümer in Rom hat er nicht nur ein Auge auf die noch heute prächtigsten Sammlungen griechisch-römischer Werke, sondern auch auf die großen Bauten wie das Pantheon und das Kolosseum. Winckelmann wird in namhafte Gesellschaften aufgenommen, wie die Londoner Society of Antiquaries und die Göttinger Akademie.
Auf seiner letzten Reise, die zum Ziel hat, langfristig nach Deutschland zurückzukehren, gelangt er ins Triester Gasthaus. Sein Mörder soll später im Verhör angegeben haben, im Reisegepäck des Opfers sei ein Buch „in einer seltsamen Sprache“ gewesen. Es war Homer, der große Grieche. Bis zum Tod an Winckelmanns Seite.