Britpop-Band The Verve: Nichts als ein Scheiterhaufen
The Verve gelten gut 15 Jahre nach dem großen Britpop-Hype als die wahren Helden dieser Bewegung. Das Comeback allerdings hätte nicht sein müssen. Ein Ex-Fan trauert.
Düsseldorf. Sie sind gescheitert. Grandios gescheitert. Man hört es The Verve auf ihrem neuen Album "Forth" in jedem einzelnen Song an: dieses Syndrom von Bands, die auseinander gingen und wieder zusammenkamen, weil sie glaubten, noch etwas zu sagen zu haben. Und wenn man dann die neue Platte auflegt, dann schweigt sie einen doch nur an.
Zurück bleibt keine Enttäuschung. Zurück bleibt Wut: Wie um alles in der Welt konnte es so weit kommen? Warum musste das ausgerechnet The Verve passieren? Denn was für Ausrufezeichen standen am Beginn dieser Band aus dem englischen Wigan: Frontmann Richard Ashcroft - so heißt es - verließ dereinst die Schule mitten in der Abschlussprüfung und verabschiedete sich mit den Worten: "Ich gehe, weil ich DIE Band gründen werde."
Er tat es. 1993 erschien "A Storm In Heaven", die erste Platte von The Verve. Sie war ein Ausbund an Kreativität. Ein wichtiger Beitrag und doch fast schon eine Antithese zum damals anbrechenden Hype um den Britpop, dem The Verve angehörten. Und dessen Grenzen sie sprengten: The Verve mischten auf ihrem Erstling psychedelischen Rock mit Soul, Jazz und Hippie-Blues mit Krautrock. Sie kreierten ganze Traumlandschaften aus Musik.
Album Nummer zwei, "A Northern Soul", erschien 1995 und präsentierte sich - Ashcroft singt mit Hall zu dröhnenden, verzerrten Gitarren - rockiger. Es war ein Rock, der den Britpop plötzlich von seiner räudigen Seite zeigte und doch genug überraschende Wendungen und liebevoll ausgetüftelte Elemente offenbarte, um den Anspruch zu wahren. Rock zudem, der Platz ließ für die ersten großen Balladen ("On Your Own"). Und es war eine Steigerung, die ihren Höhepunkt zwei Jahre später fand: Im Album "Urban Hymns", der Krönung, dem Geniestreich.
Nie klang der Britpop erhabener und schöner und stärker durchsetzt von einem Weltschmerz, der einen in tragischer Schönheit umfängt. "Bitter Sweet Symphony" - dieser Schmachtfetzen mit Streichersätzen über ein desillusioniertes Leben - oder "The Drugs Don’t Work", diese Kapitulation eines gebrochenen Herzens vor den Drogen, hallten noch Stunden im Kopf nach.
Hier war der Beweis: The Verve sind die Besten. Weil sie damals schon anders waren als die anderen, die Erfolgreicheren um sie herum. Da gab es Oasis als diejenigen, die lärmten wie Proleten, nur um im nächsten Moment dem Kitsch zuzusprechen - und die dieses Wechselspiel perfektionierten ("Wonderwall", "Don’t Look Back In Anger"). Und da gab es Blur, die Jungspunde und Hipster, die einfach mal drauf los spielten und anscheinend ohne großes Nachdenken Ohrwürmer zwischen Nonsens ("Girls & Boys") und Punk ("Song 2") hervorbrachten.
The Verve aber waren die echten Intellektuellen der britischen Musik. Interessiert am Experiment, am Ausgefallenen. Angetan von einer Musik, die nicht durch den Magen, sondern durch das Hirn geht. Bloß nicht geradeaus. Lieber hintenrum und fünf Umwege um die wahre Melodie herum legen. Schließlich will die erarbeitet und entdeckt werden. Nur dann lohnt es sich. Der Weg ist das Ziel.
Dumm nur, wenn die Umwege zu zahlreich werden. Angedeutet hatte es sich bereits auf den drei Soloalben, die Ashcroft nach dem endgültigen Split der Band im Jahre 1999 bis 2006 herausbrachte. Nette Musik zwar. Aber das Wichtigste fehlte: die Magie. Und sie kommt auf "Forth" nicht wieder.
Was man auf dem Album findet, das sind zehn Songs, die sich größtenteils durch musikalische Endlosschleifen quälen. Es ist Psychedelik ohne Tiefgang. Musik, die sich nicht entscheiden kann, welchen Pfad sie einschlagen soll. Anstatt auf Umwegen zum Ziel - der Melodie - zu gelangen, stolpert man hier ausschließlich Umwege entlang. Und das macht wütend.
Man hätte The Verve aus lauter Freude über die Wiederkehr so einiges verziehen: Stillstand etwa. Oder Breitwandrock á la Coldplay. Oder aber eine schlechtere Ausgabe der mittlerweile Lichtjahre voraus agierenden Radiohead zu sein. Eines jedoch kann man The Verve nicht verzeihen: diese Langeweile.